Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 62 (2014), 1, S. 121-122

Verfasst von: Cornelius R. Zach

 

Bues, Almut: Die Jagiellonen. Herrscher zwischen Ostsee und Adria. Stuttgart: Kohlhammer, 2010, 305 S., Kt., Abb. (= Urban Taschenbücher, 646). ISBN: 978-3-17-020027-2.

Historische Gesamtdarstellungen zur Geschichte Polens sind im deutschen Sprachraum eine Seltenheit. Schon deshalb verdient die vorliegende Arbeit die Aufmerksamkeit des Polen-Interessierten. Die polnische Dynastie litauischen Ursprungs, die der Jagiellonen, ist im Bewusstsein der Zeitgenossen am engsten mit der Geschichte Polens verknüpft, auch wenn sie nur knapp über zwei Jahrhunderte regiert hat (1386–1572). Denn die vor ihr herrschende Familie der Piasten, der Gründer des Königreichs Polen, verliert sich im Nebel der frühen Geschichte und genießt nicht das kulturelle Prestige der Jagiellonen.

Wir haben hier mit einem Werk zu tun, das für eine Buchreihe bestellt und verfasst wurde; und das setzt der Verfasserin gewisse Grenzen. Als Referenzwerk eignet sich diese Monographie ausgezeichnet, als Lektüre ist sie manchmal zu trocken, zu deskriptiv und kann oft die Aufmerksamkeit des Lesers nicht fesseln. Aber wenn man die Geduld aufbringt, die ersten fünfzig Seiten zu lesen, wird man durch eine Fülle von Informationen und Zusammenhängen zur polnischen Geschichte belohnt. Der Text ist sehr informativ, er kann jede neugierige Nachfrage zu diesem Abschnitt der polnischen Geschichte befriedigen. Die Arbeit ist sehr gut dokumentiert, sie hat eine Auswahlbibliographie auf dreizehn Seiten, Karten, einen Index, ein Glossar; Stammtafeln und Fußnoten ergänzen sie. Fehler sind kaum vorhanden. Lediglich auf S. 164 beispielsweise, werden die Bourbonen als Könige von Frankreich ein halbes Jahrhundert, bevor sie es auch tatsächlich wurden, genannt.

Die Verfasserin versucht, die Lage Polens im damaligen Europa unter politischen und kulturellen Aspekten zu definieren. Das gelingt, wenn auch nicht immer, etwa, wenn die Erklärungen zu manchem Misslingen wenig überzeugend sind. Im 16. Jahrhundert versuchte Polen durch Personalunionen mit Böhmen und Ungarn ein Großreich, das vom Baltikum bis zur Adria reichte, zu schaffen. Wie auch anderswo in der polnischen Geschichte scheiterten diese Versuche nach einiger Zeit an mangelhaften Strukturen. Die Modernisierung der politischen Form gelang nicht; es gelang auch nicht, ein Reich, das dem habsburgischen hätte ähneln können, auf Dauer zu konsolidieren. Eine späte Folge dieser Strukturschwächen waren die Teilungen des Königreichs im 18. Jahrhundert. Stark in Polen als Könige, konnten sich die Jagiellonen in Ungarn und Böhmen gegen die einheimischen politischen Eliten nicht behaupten (S. 102).

Als vierte christliche Provinz des (deutschen) Reiches – „Sclavonia“ – welche,  im Liu­thari-Evangeliar bildlich dargestellt, in Frauengestalt neben „Rom, Gallien und Germanien“ Kaiser Otto III. huldigt  – (S. 13), kam Polen später immer wieder und mit wechselhaftem Glück in Konflikt mit den westlichen Nachbarn. Die Union mit Litauen, dem letzten nichtchristlichen Staat in Europa, ist die einzige in der Geschichte, bei der sich zwei Völker, die keine verwandte Sprachen besaßen, zu einem einzigen Staat vereinigten (S. 24). Die Personalunionen (es gab mehrere) zwischen dem Königreich und dem Großfürstentum wurden im Zeitraum 1370 und 1444 immer wieder bestätigt. Eine Realunion fand erst 1569 statt (S. 33).

Der Leser bekommt Einblick in das Hofleben der polnischen Dynastie, erfährt interessante Details über die Krönungen, Throne und Zeremonien. Einflüsse aus dem Deutschen Reich, Böhmen, Ungarn und Italien lassen sich schon sehr früh erkennen und nachverfolgen (S. 36, 67–68). Der sakrale Charakter der Monarchie wurde im Zeremonial der Krönung betont (S. 72). Im Jahr 1638, nach dem Ende der Jagiellonenherrschaft, beschloss der polnische Reichstag, dass die Krönungen nur noch in Krakau vorgenommen werden sollten (S. 232).

Die politische Integration der polnischen Könige in die europäische Monarchenfamilie wird auch durch die Mitgliedschaft in Orden und durch die ihnen verliehenen Auszeichnungen markiert. Kazimierz IV. bekam von Papst Nikolaus V. 1448 die Goldene Rose und wurde zwei Jahre später zum Ritter des Hosenbandordens gewählt (S. 89). Dagegen fallen am Ende des 15. Jahrhunderts die Einnahmen der polnischen Könige bescheiden aus – sie werden auf 50.000 bis 70.000 Dukaten geschätzt –, was im Vergleich zu den Jahreseinnahmen des ungarischen Königs Matthias von über 400.000 Dukaten sehr bescheiden war (S. 100). Über die Hofhaltung erfährt man zahlreiche Details, die ein prächtiges Bild ergeben; dazu im Gegensatz steht die relative Machtlosigkeit des Königs (S. 207, 227). Auch über die Rechte des Adels, welche die Handlungsfreiheit des Staates einschränkten, wird berichtet (S. 61–62, 143).

Ein Grund für das Aussterben der Dynastie war, dass die ersten Kinder der Könige spät geboren wurden, was die Bildung von Nebenlinien verhinderte (S. 40). Die Königinnen mussten katholisch sein und durften nicht Maria heißen – dieser Name war der Gottesmutter vorbehalten (S. 123). Man heiratete aber nach Italien, um den kulturellen Einfluss Westeuropas in Polen zu stärken. Die Jagiellonische Universität zu Krakau zählte im 16. Jahrhundert über 20.000 Studenten (S. 53).

Die Verfasserin untersucht die politischen Strukturen Polens in der von ihr betrachteten Zeitspanne. So wird über die Struktur des Landtags berichtet (S. 88, 113) und über die Rolle der Geistlichen in der Landespolitik (S. 104). Der Sejm wird in seinen Funktionen und negativen Wirkungen auf das politische Leben des Königreichs analysiert (S. 125–126,137, 174). Das berühmte Vetorecht eines jeden einzelnen Landtagsmitglieds sei nicht als eine demokratische Form zu bewerten, vielmehr lähmte es gänzlich das politische Leben und die Handlungsfreiheit des Staates.

Die Unterstützung Roms für Polen zeigte sich schon daran, dass die polnischen Monarchen das Nominationsrecht für die Bischöfe 1512 – also vier Jahre vor den französischen Königen – erhielten (S. 168).

Die Verfasserin stellt fest: „Vergleicht man die Herrschaftsstruktur im Polen der Jagiellonenzeit mit anderen europäischen Königreichen, so unterschied sie sich nur unwesentlich vom allgemeinen Standard der Zeit in Bezug auf die Königsmacht, Ämtertypus, Diplomatie, Rechtsprechung und Heerwesen. Eine Besonderheit stellte allerdings der Reichstag dar, der allein vom Adel besucht wurde.“ (S. 114) Wohl aus Unachtsamkeit erscheint derselbe Satz noch einmal auf S. 153.

Unterstrichen wurde auch die Toleranz der polnischen Monarchen den in ihrem Reich lebenden Nichtkatholiken gegenüber (S. 180, 199).

Die Verfasserin zieht eine ausgewogene Bilanz der polnischen Geschichte unter den Jagiellonen: „Fast 200 Jahre hatten die Jagiellonen nicht nur die Geschicke Polens und Litauens, sondern eines großen Teils Osteuropas gelenkt. Das auf sie in der Rzeczpospolita folgende Wahlkönigtum mit unterschiedlichen Dynastien sollte ebenfalls nur 200 Jahre Bestand haben, bevor das Königreich Polen-Litauen für 125 Jahre ganz von der Landkarte verschwand, um erst wieder im 20. Jahrhundert als nun zwei getrennte Republiken Polen und Litauen wiederzuerstehen.“ (S. 219).

Cornelius R. Zach, München

Zitierweise: Cornelius R. Zach über: Bues, Almut: Die Jagiellonen. Herrscher zwischen Ostsee und Adria. Stuttgart: Kohlhammer, 2010, 305 S., Kt., Abb. (= Urban Taschenbücher, 646). ISBN: 978-3-17-020027-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Zach_Bues_Jagiellonen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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