Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 61 (2013), 3, S. 465-466

Verfasst von: Krista Zach

 

Carl Bethke: Deutsche und ungarische Minderheiten in Kroatien und der Vojvodina 1918–1941. Identitätsentwürfe und ethnopolitische Mobilisierung. Wiesbaden: Harrassowitz, 2009. 718 S., Tab. = Balkanologische Veröffentlichungen, 47. ISBN: 978-3-447-05924-4.

Der hier angezeigte (schwer)gewichtige Band entstand im Umfeld der Südsosteuropaforschungen bei Holm H. Sundhaussen in Berlin. Er hat eine lange Entstehungsgeschichte, was sich allein schon aus dem überaus akribisch aufgegliederten Inhalt (S. 5–8) erschließt. In der fast 50-seitigen Einleitung (Teil I, S. 17–61) lässt der Verfasser die hauptsächlichen Thesen, Theorien und Autoren aufmarschieren, die das breite Themenfeld der Minderheitenforschung seit dem Ersten Weltkrieg besetzt hielten – sei es im Rahmen einer deutschen, rumänischen, ungarischen u.a. „Volksgeschichte“, sei es – vom Verfasser aus kritischer Distanz gewertet – im Zusammenhang mit einem Schwerpunktthema zur „Minderheiten“- oder „Volksgruppenforschung“ mit Bezug auf Ost- und Südosteuropa sowie schließlich auch der neuzeitlichen Konstruktion von nationa­len/eth­nischen Identitätstheorien. Zu kurz scheint hier nur die diesbezügliche Forschung aus einem ungarischen Standpunkt zu kommen. Es wird gleich eingangs besonders hervorgehoben, dass derlei Forschungen immer nur die „Elitepositionen“ berücksichtigten. Dem stellt der Verfasser einen durchaus anderen methodischen Zugang kontrastiv an die Seite bzw. entgegen. Er setzt sich zum Ziel, mittels „diskursiver Konstrukte“, die sich u. a. auch über Narrationen und kulturelle Symbolik vermittelten, deutsche und ungarische Minderheitengruppen im zwischenkriegszeitlichen Jugoslawien zu untersuchen (S. 22–23).

Die Arbeit gliedert sich in acht Teile. Sehr nützlich sind die mehrseitigen ergebnisorientierten Zusammenfassungen zu jedem Teil; sie helfen dem Leser, den roten Faden nicht zu verlieren.

In Teil I wird das begriffliche Instrumentarium erläutert, z. B. Identität u.a. als „Konstruktion zwischen Option und Zuschreibung“ (S. 21), ethnische Mobilisierung (nach Milton J. Freeman), Volksgeschichte, mental mapping etc. Modernste Begriffe aus der anglo­amerikanischen Soziologie und Politikwissenschaft werden auch weithin in Originalsprache und Mischform eingesetzt, z. B. „external homeland“ „(Brubaker)-Struktur“, „external-homeland-nation-building“ (S. 625), was den Text nicht unbedingt lesbarer macht. Die Zwischenüberschrift „Was ist eine Nation?“ erstaunt denn doch etwas. Forschungsstand, Quellenlage und Methoden werden ausführlich dargelegt. Abschließend beschreibt Bethke seinen Analysezugriff in den acht Teilen als „Vorgehen“ (S. 59–61).

Es würde den für eine Rezension gegebenen Raum weit überschreiten, wollte man hier alle acht Teile exemplifizieren. Teil II (S. 62–134) sei kurz als Beispielfall betrachtet. Hier werden, etwas tautologisch formuliert, „historische Voraussetzungen“ in den „Geschichtslandschaften“ Vojvodina und Ost-Kroatien vorgestellt – ausgehend vom Raum, dessen politischer Topographie mit dem diesen Raum durchtrennenden Donaulauf sowie der Überwindung der Trennung durch Verkehr und Kommunikation. Lebenswelten um 1910, Migration und soziale wie auch konfessionelle Schichtung, Kultur und Bildung folgen. Dem Mangel an Urbanität („Bauernstädte“, S. 88–89) wird die Provinzmetropole Osijek gegenübergestellt. Die Frage „Was ist eine Nation?“ wird anhand von vier Meganarrativen bzw. „großen Erzählungen“ analysiert, welche die „Konstruktionen nationaler und ethnischer Identität“ (S. 98 ff) verdeutlichen. Auf den ersten Blick lässt sich hier kein besonderer Unterschied zu den herkömmlichen Stichpunkten und Fragestellungen älterer Arbeiten zum Thema erkennen. In Teil VIII zieht der Autor „Bilanz: Ethnische Mobilisierung von Schwaben und Ungarn in Jugoslawien – diachrone Vergleiche und Thesen“ (S. 625–645).

Angesichts dieses immensen Arbeitsaufwands und dem stetigen Bemühen des Verfassers, kohärent zu bleiben, ist der lesende Rezensent dennoch etwas ratlos bei der Beurteilung der Relevanz des Gebrauchs von Begriffen und Fragestellungen. Die Analyseergebnisse lassen fragen, inwieweit sich dieser Aufwand gelohnt hat? Gewiss weiß man jetzt sehr viel mehr über beide Minderheitengruppen, aber könnte der interessante methodische Ansatz Bethkes künftig nicht auf ein knapperes Analyseinstrumentarium heruntergebrochen werden?

Abschließend einige Wermutstropfen und ein großes Lob. Der häufige, salopp-poppige Gebrauch von Anglizismen, die nichts erläutern oder hinzufügen, erscheint unbegründet, z. B.: „in unserer case study …“ ; „es gibt in unserem Stück also keine tadellosen good guys“ (S. 21); ein „kritischer approach“ (S. 22). Wenn diese als Überschrift eingesetzt werden – z.B. „political opportunities structure“ (S. 625); „Leadership und Mitglieder“ (S. 630) – mag man fragen, ob es nicht der Klarheit gedient hätte, vorhandene deutschsprachige Begriffe dafür zu gebrauchen. – Das geplante „Zentrum gegen Vertreibung“ bedarf des Plurals – also „Vertreibungen“ (S. 18).

Die 17 Tabellen und Grafiken mit demographischen und soziologischen Daten wären sehr willkommen, könnte man sie auch entziffern. Leider aber bleiben sie fast unleserlich, da in zu kleiner Type gedruckt. Bei diesem Bandumfang hätten es mit größerem Schriftgrad einige Seiten mehr sein dürfen.

Das wohl gegliederte 14-seitige Quellenverzeichnis und eine Bibliographie auf rund 50 S. sind imposant; sie dürften es vielen Lesern und Forschern erleichtern, hier reichlich Material für weitere Untersuchungen zu finden. Irritierend dagegen ist das Fehlen von Indizes jeder Art und ebenso das relativ häufige Auftreten von Sonderzeichenfehlern.

Krista Zach, München

Zitierweise: Krista Zach über: Carl Bethke: Deutsche und ungarische Minderheiten in Kroatien und der Vojvodina 1918–1941. Identitätsentwürfe und ethnopolitische Mobilisierung. Wiesbaden: Harrassowitz, 2009. 718 S., Tab. = Balkanologische Veröffentlichungen, 47. ISBN: 978-3-447-05924-4, http://www.oei-dokumente.de/JGO/Rez/Zach_Bethke_Deutsche_und_ungarische_Minderheiten.html (Datum des Seitenbesuchs)

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