Vladislav M. Zubok A Failed Empire. The So­viet Union in the Cold War from Stalin to Gor­ba­chev. The University of North Carolina Press Chapel Hill 2007. XVI, 467 S., Abb. = The New Cold War History.

Vladislav Zubok stellt die Politik der UdSSR gegenüber der Außenwelt während des Kalten Krieges dar. Der Schwerpunkt liegt auf dem Verhältnis zur Hauptgegenmacht USA und auf den Vorgängen innerhalb der Kreml’-Führung. Außer zahlreichen Einzelstudien, die ihrerseits auf Primärquellen beruhen, hat Zubok in großem Umfang eigene Forschungen auf der Grund­lage von Dokumenten aus Moskauer und Washingtoner Archiven verwendet. Zudem hat er beteiligte Akteure interviewt. Das Buch fasst daher nicht nur, wie bei Werken breiten Themenzuschnitts üblich, die Arbeiten anderer Historiker zusammen, sondern präsentiert auch die Ergebnisse eigenen Forschens. Das gilt insbeson­dere für die Konflikte, die in den ersten Nachkriegsjahren mit den Amerikanern und Briten über das Vorgehen auf dem Balkan sowie gegenüber der Türkei und dem Iran entstanden, und für die Verhandlungen, die 1983 bis 1987 über die Nachrüstung der NATO als Gegengewicht zu den sowjetischen SS-20 geführt wurden.

Die Niederlage der Sowjetunion am Ende des Kalten Krieges und das Auseinanderbrechen vor allem des inneren Imperiums schmerzen Zubok, der in ihr aufgewachsen ist und heute an der Temple University in den USA lehrt. In seiner Darstellung erscheint Gorbačëv als Hauptverursacher des Debakels. Das letzte Kapitel des Buches, das sich mit den Entwicklungen der Jahre 1985 bis 1991 befasst, hat den Charakter einer Abrechnung mit dem letzten Generalsekretär der KPdSU und seinen Reformen, denen eine völlig verfehlte Ausrichtung bescheinigt wird. In Übereinstimmung mit dem heute in Russland vorherrschenden Trend steht der machtstaatliche Gesichtspunkt im Vordergrund, demgegenüber dem Ethos der Humanisierung, Liberalisierung und Demokratisierung des Sozialismus keine Bedeutung beigemessen wird. Zugleich werden die seit langem sich abzeichnenden Faktoren des inneren Niedergangs ignoriert, die den KGB schon Anfang der achtziger Jahre zu dem (bei Zubok nicht erwähnten) Urteil veranlassten, dass die UdSSR aufgrund ihres wachsenden ökonomischen und technologischen Rückstandes unausweichlich ins Hintertreffen gerate. Außer auf die Schwächen des sozialistischen Wirtschaftssystems war das primär zurückzuführen auf ungebremste, die Leistungskraft weit übersteigende Rüstungsausgaben, auf zunehmend untragbare Kosten zur Aufrechterhaltung des äußeren Imperiums im Zeichen der „Brež­nev-Doktrin“, auf Belastungen durch den Krieg in Afghanistan und auf die Hilfen für antiwestliche Regime und Bewegungen in der Dritten Welt – alles Aufwendungen, die der Machtentfal­tung nach außen dienten und zugleich den Keim des Untergangs in sich trugen.

Gorbačëv war der erste sowjetische Führer, der – zu einem äußerst späten Zeitpunkt – die Zeichen der herannahenden Krise ernst nahm und Abhilfe zu schaffen suchte. Sein Bemühen um vertragliche Übereinkunft in der Nachrüstungsfrage, seine Anstrengungen zur „Beschleunigung“, dann „Umgestaltung“ (perestrojka) der wirtschaftlichen und schließlich auch der politischen Verhältnisse, der Rückzug aus der materiellen Verantwortung für die Staaten des äußeren Imperiums (mit dem letztendlichen Ergebnis des Verzichts auf die „Brežnev-Doktrin“) – das alles und vieles Andere lässt eine geradezu verzweifelte Suche nach Lösungen für die sich auftürmenden Existenzprobleme des Sowjetreiches erkennen. Wie das geschehen sollte und konnte, war freilich unklar, nachdem diese Frage bis dahin nicht einmal gestellt worden war, so dass er ebenso wenig wie irgendwer sonst darauf vorbereitet war, sie zu beantworten. Daher blieb ihm nur die Möglichkeit des Experimentierens.

Sein Scheitern erscheint im Rückblick fast unausweichlich, nachdem seine Vorgänger so lange eine Vogel-Strauß-Politik betrieben hatten. Erschwerend kam noch hinzu eine latente Destabilisierung der politischen Verhältnisse durch die zunehmende Erosion der ideologischen Legitimationsbasis, die bis weit hinein in die staatstragende Nomenklatura reichte, durch die wachsenden Spannungen in der Gesellschaft und zwischen den Nationalitäten, durch den sinkenden Lebensstandard der Bevölkerung und durch fehlende Ressourcen für die sozialen Leistungen. Westliche Beobachter diagnostizierten, dass der UdSSR die inneren Verhältnisse eines Dritte-Welt-Landes und die weltpolitische Qualität eines „Obervoltas mit Raketen“ (Helmut Schmidt) drohe. Dem suchte Gorbačëv zu wehren. Dass ihm der angestrebte Erfolg versagt blieb, sollte angesichts der Umstände nicht verwundern. Um Aussicht auf Erfolg zu haben, hätte man die Probleme schon in den siebziger Jahren angehen müssen, statt den Karren immer weiter in den Dreck zu fahren. Das alles lässt Zubok unberücksichtigt.

Wenn man von den Ausführungen über den Zusammenbruch des Imperiums absieht, ist Zuboks Buch die bisher weitaus beste Darstellung der sowjetischen Politik während des Kalten Krieges. Zubok hat viele bis dahin nicht bekannte Quellen erschlossen und daraus neue Erkenntnisse geschöpft, so dass sein Werk unverzichtbar für alle ist, die sich von der Rolle der UdSSR seit ihrem Aufstieg am Ende des Zweiten Weltkriegs ein Bild machen wollen. Dabei sollte man freilich im Auge behalten, dass Zubok den spezifischen Charakter des Moskauer Vorgehens gegenüber der Außenwelt kaum berücksichtigt, weil er dieses als pragmatisch bestimmtes, also auf der Abwägung der jeweiligen, rein machtpolitisch gesehenen Vor- und Nachteile beruhendes Handeln ansieht. Demnach zielte Chruščëvs und Brežnevs Politik der „friedlichen Koexistenz“ auf ein freundliches Einvernehmen mit den USA ab und war als „Realpolitik“ der Strategie von Nixon und Kissinger nicht unähnlich. Die Unterstützung, die der Kreml’ den antiwestlichen „Befreiungsbewegungen“ und Regimen in der Dritten Welt zukommen ließ (um sie, wie nicht ausgeführt wird, in eine gemeinsame „antiimperialistische Front“ einzureihen), und die Friedens- und Abrüstungskampagnen in westlichen Ländern, um die sich die UdSSR bemühte (zu dem – ebenfalls nicht genannten – expliziten Zweck, auf deren innerstaatliche Entscheidungen Einfluss zu nehmen), finden zwar gelegentlich Erwähnung, erscheinen aber als unbedeutende Nebensächlichkeiten, die in der Gesamtbewertung außer Betracht bleiben. Es fehlt auch der Hinweis darauf, dass es der sowjetischen Führung bis in die Anfangsjahre Gorbačëvs hinein stets darum ging, die USA aus den infolge des Zweiten Weltkriegs gewonnenen Positionen, vor allem aus Europa, zu vertreiben und ihre Bündnisse, namentlich die NATO, zu beseitigen. Insgesamt jedoch hat Zubok ein herausragendes Werk verfasst, an dem die weitere Forschung über die sowjetische Westpolitik, über die Innenverhältnisse des Kreml’ und über den Kalten Krieg nicht vorbeikommen wird.

Gerhard Wettig, Kommen

Zitierweise: Gerhard Wettig über: Vladislav M. Zubok A Failed Empire. The Soviet Union in the Cold War from Stalin to Gorbachev. The University of North Carolina Press Chapel Hill 2007. XVI, 467 S., Abb. = The New Cold War History. ISBN: 978-0-8078-3098-7, in: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Wettig_Zubok_Failed_Empire.html (Datum des Seitenbesuchs)