Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 60 (2012) H. 3, S. 444-445

Verfasst von: Gerhard Wettig

 

Ėduard A. Ševardnadze: Kogda ruchnul železnyj zanaves. Vstreči i vospominanija [Als der Eiserne Vorhang einstürzte. Begegnungen und Erinnerungen]. Moskva: Izdat. Evropa, 2009. 426 S., 67 Abb. ISBN: 978-5-9739-0188-2.

Schewardnadse war von 1985 bis 1990 – also in den entscheidenden Jahren des Umbruchs – Außenminister der UdSSR. Im Unterschied zu seinem Vorgänger Gromyko, der bei seinem Rücktritt mit seinem Stellvertreter Kornijenko als Nachfolger gerechnet hatte, kam er nicht aus der Diplomatie. Gorbatschow wollte die Außenpolitik keinem Professionellen, sondern einem politischen Freund anvertrauen, der in seinem Sinne dachte und handelte. Schewardnadse ist durch seine darauf beruhende Mitwirkung an der Umgestaltung der Sowjetunion (Perestrojka) und der damit verknüpften Beendigung des Kalten Krieges zu einem maßgeblichen Akteur der weltgeschichtlichen Wende geworden, die in der Emanzipation der sowjetischen Gefolgschaftsstaaten von ihrer Hegemonialmacht, in der Wiedervereinigung Deutschlands und der Auflösung der UdSSR ihren Höhe- und Endpunkt erreichte. Im Zuge dieser Entwicklung verschlechterte sich Ende der achtziger Jahre das Verhältnis zu Gorbatschow. Der Generalsekretär der KPdSU, der sich immer wieder neuen Situationen und unerwarteten Problemen gegenübersah, enttäuschte seine Freunde und Parteigänger, darunter auch Schewardnadse, zunehmend dadurch, dass er seine politischen und wirtschaftlichen Innovationen mit partiellem Festhalten an Strukturen und Personen der Vergangenheit verband. Der Außenminister sah sich immer mehr politisch allein gelassen und entschloss sich daraufhin im Dezember 1990 zum Rücktritt.

Es sollte noch mehr als ein halbes Jahr dauern, bis Gorbatschow erkennen musste, dass ihm das Bemühen, die Gegner seiner Reformpolitik durch sachliche und personelle Konzessionen zufriedenzustellen, den Verlust seiner Freunde und Anhänger eingebracht hatte, ohne ihm bei seinen Widersachern Akzeptanz zu verschaffen. Zum Schluss stand er allein da. Zwar blieb den Putschisten der Triumph versagt, doch war Jelzin, den er 1987 entmachtet hatte, inzwischen zum Führer der russischen Teilrepublik geworden und sorgte von dieser Position aus dafür, dass der sowjetische Gesamtstaat und die kommunistische Partei als Klammer des republikenübergreifenden Zusammenhalts – und damit Gorbatschow, der an beider Spitze stand – ausgeschaltet wurden. Die UdSSR brach auseinander. Dadurch wurde auch Georgien, die Heimat Schewardnadses, unabhängig. Der Wegfall der Zentrale ließ dort Durcheinander und Chaos entstehen. 1992 entschloss sich Schewardnadse zur Rückkehr, um in dem Land, das er vor dem Ruf aus Moskau geleitet hatte, die Verhältnisse zu konsolidieren. Er bekam die Probleme, wie er betont, in den Griff und machte Georgien zum respektierten Glied der internationalen Gemeinschaft. Dennoch zog er sich erneut Feindschaft zu, diesmal bei Nationalisten, in deren Augen sein Kurs gegenüber dem Ausland allzu gemäßigt war. Wieder sah er sich zum Rücktritt veranlasst.

Alle diese Vorgänge und Entwicklungen stellt Schewardnadse nicht in chronologischer Abfolge, sondern episodenhaft dar. Dabei liegt der Akzent auf seinen persönlichen Wahrnehmungen. Diese Memoiren geben daher guten Einblick in das Denken und Fühlen dieses bedeutenden Politikers der sowjetischen Spätzeit, der nicht zuletzt auch einen sehr wichtigen Beitrag zum Zustandekommen der deutschen Einheit geleistet hat. Wer sich über die Haltung, die Dispositionen und die Rolle Schewardnadses während der Abkehr vom Kalten Krieg informieren möchte, wird das Buch mit großem Gewinn lesen.

Gerhard Wettig, Kommen

Zitierweise: Gerhard Wettig über: Ėduard A. Ševardnadze: Kogda ruchnul šeleznyj zanaves. Vstreči i vospominanija [Als der Eiserne Vorhang einstürzte. Begegnungen und Erinnerungen]. Moskva: Izdat. Evropa, 2009. ISBN: 978-5-9739-0188-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Wettig_Sevardnadze_Kogda_ruchnul_zheleznyj_zanaves.html (Datum des Seitenbesuchs)

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