Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Ernst Wawra

 

Alex Ward (ed.) Power to the People. Early Soviet Propaganda Posters in The Israel Museum, Jerusalem. Lund Humphries Publishers Al­dershot, Hampshire, London, Burlington, VT 2008. 208 S., 600 Abb. ISBN: 978-0-85331-981-8.

„Power to the People. Early Soviet Propaganda Posters‟ lautete der Titel der Ausstellung in The Israel Museum in Jerusalem im Jahr 2004, deren Katalog mittlerweile vorliegt. Die Grundlage der Ausstellung bildete die Schenkung von etwa 600 Einzelbildern durch Dalia und Merill C. Berman an das Museum in den neunziger Jahren. Alex Ward hat auf Basis der „largest museum collection of such works outside Russia“ (S. 13) 64 ROSTA- und GPP-Fen­ster in weiten Teilen kommentiert und in den Entstehungszusammenhang eingeordnet.

Historisch gehen diese auf die lubki (Volksbilderbögen) der Zarenzeit zurück. Deren direkte Nachfolger, die meist aus mehreren Bildern bestanden, fanden nach der Oktoberrevolution in der visuellen Propaganda Verwendung. Eine Sonderform dieser Bildfolgen waren schließlich die „Okna Satiry ROSTA“ (Fenster der Satire der Russischen Telegrafenagentur). Der zum großen Teil analphabetischen Bevölkerung wurden mit den in leerstehenden Schaufenstern platzierten Plakaten die zentralen politischen Losungen bzw. Botschaften vermittelt, wobei die Themen anfangs wöchentlich, später sogar täglich wechselten. Die „Fenster der Satire“ dienten als Kommunikationsmittel zur Diskreditierung der Gegner der Bol’ševiki; mit ihrer Hilfe wandte man sich zu Agitations- und Propagandazwecken an den Rezipienten, um ihn entweder von der ‚guten‛ Sache zu überzeugen oder direkt zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Die Vervielfältigungstechnik der „Fenster“ hatte den Vorteil, dass innerhalb kürzester Zeit aktuelle Nachrichten im Schaufenster hingen. Die Plakatbögen wurden nicht gedruckt, sondern mittels Schablonentechnik von Hand gefertigt. Sie wurden von September 1919 bis Februar 1922 veröffentlicht, anfangs von der ROSTA (Rossijskoe Telegrafnoe Agentstvo), dann – die letzten 12 Monate – von der Glavpolitprosvet (GPP – Hauptverwaltung für politische Aufklärungsinstitutionen). Daraus ergeben sich zweierlei Zählweisen: 1. ROSTA 1 bis 944 und 2. GPP 1 bis 469, wobei vor dem Übergang zur einheitlichen Nummerierung einige Num­mern mehrfach vergeben worden sind. Insgesamt wurden ca. 1600 „Fenster“ angefertigt.

Der hier zu besprechende Katalog gliedert sich in drei Abschnitte: erstens eine Einführung zum historischen Hintergrund sowie zum Wirken Vladimir V. Majakovskijs, zweitens ein ikonographisches Lexikon und drittens die Sammlung selbst. Im ersten Teil stellt Alex Ward nach der Skizzierung des kulturellen Hintergrunds die Bedeutung der „Fenster“ dar. Die Ausführungen zur manuellen Produktion geraten leider etwas zu kurz, da man sich vor allem in Hinblick auf die seltene Abbildung eines gan­zen Schablonensatzes (ROSTA 437; S. 162ff.) gewünscht hätte, den Produktionsvorgang anhand dieses Beispieles veranschaulicht zu bekommen. Muza A. Nemirova beschreibt anschließend die große Bedeutung Majakovskijs für die Entstehung und Weiterentwicklung der Fenster.

Daran schließt sich im zweiten Abschnitt ein bislang einzigartiges ikonographisches Lexikon an (S. 28–31), mit dessen Hilfe 41 Begriffe z.B. „Soldier‟, „Heroes of The Revolution‟, „Hunger‟ und „Victory‟ in ihrer bildlichen Umsetzung exemplifiziert werden. Obwohl die gewählten Beispiele ‚nur‛ der präsentierten Sammlung entnommen sind, kann dennoch bereits mit diesen eine Annäherung an die visuelle Agitation der Bol’ševiki vorgenommen werden. Über mancherlei Zuordnung der Bilder lässt sich streiten, so wäre z.B. der Begriff „prosperity“ (S. 31) besser durch den sechsten Ausschnitt von ROSTA 649 (S. 43) repräsentiert. Auch auf das Fehlen einer eindeutigen Zuordnung z.B. von „Raben“/„Krähe“ zu „Ruin“ ist hinzuweisen. Insgesamt betrachtet besticht dieses ikonographische Lexikon jedoch durch eine stimmige und repräsentative Auswahl.

Die Abbildung und Aufbereitung der einzelnen „Fenster“ im dritten Abschnitt ist aus mehreren Gründen lobend zu erwähnen: Zum einen hat sich das Team um Ward bemüht, nicht nur alle „Fenster“ farbig abzudrucken und deren Texte vollständig zu übersetzen, sondern es hat auch bei mehr als der Hälfte die Titel ermittelt. Bei allen „Fenstern“ sind der Entstehungsmonat, Autor und Künstler sowie die Größe angeben. Weiterhin finden sich bei einer Vielzahl von „Fenstern“ kurze Erklärungen zu Begriffen des Textes (z.B. „dessiatina“ oder „pood“; S. 52) oder Übersetzungen von Aufschriften in den einzelnen Bildern. Zusätzlich zur allgemeinen Einleitung zu Beginn des Kataloges ist die Einordnung einer Vielzahl von „Fenstern“ in ihren Entstehungszusammenhang hervorzuheben.

Festzustellen bleibt allerdings, dass sich aufgrund fehlender Hinweise die Auswahl der ganzseitig vergrößerten Ausschnitte dem Rezensenten nicht erschlossen hat. Dies stellt jedoch das einzige Defizit dieses Kataloges dar. Die Präsentation hat einen neuen Maßstab hinsichtlich Vollständigkeit der einzelnen „Fenster“ und ihrer Kommentierung gesetzt. Dieser Ausstellungskatalog sollte in keiner Sammlung von visueller Bildpropaganda Russlands und der Sowjetunion fehlen – auf eine nach wissenschaftlichen Kriterien editierte Plakatsammlung wird man jedoch weiter warten müssen.

Ernst Wawra, Erlangen

Zitierweise: Ernst Wawra über: Alex Ward (ed.) Power to the People. Early Soviet Propaganda Posters in The Israel Museum, Jerusalem. Lund Humphries Publishers Aldershot, Hampshire, London, Burlington, VT 2008. ISBN: 978-0-85331-981-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Wawra_Ward_Power_to_the_People.html (Datum des Seitenbesuchs)

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