Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 4, S.  576–578

Laurence Cole / Daniel L. Unowsky (eds.) The Limits of Loyalty. Imperial Symbolism, Popular Allegiances and State Patriotism in Late Habsburg Monarchy. Berghahn Books New York, Oxford 2007. 246 S., Abb. = Austrian and Habs­burg Studies, 9. ISBN: 978-1-84545-202-5.

Die Forschung zur Geschichte der Imperien hat am Beispiel der Habsburgermonarchie in den letzten Jahre gezeigt, dass diese vor dem Ersten Weltkrieg keinesfalls ‚zwangsläufig‛ zum Zusammenbruch verurteilt waren, wie es gerade die ältere Nationalismusforschung noch häufig an­nahm. Die beiden Herausgeber Laurence Cole und Daniel Unowsky haben es sich daher in diesem Sammelband zur Aufgabe gemacht, der Zwillingsfrage nachzugehen: Was hielt die Habsburgermonarchie zusammen, und woran zerbrach sie schließlich? Denn ohne eine angemessene Antwort auf die erste Frage sei letztlich auch die zweite nicht sinnvoll zu beantworten.

Die Beiträge dieses erfreulich kohärenten Sammelbandes belegen zunächst einmal, dass die Monarchie sehr wohl über Bindekräfte verfügte. So zeigt Ernst Bruckmüller, wie der Staat im Rahmen von Schulbüchern die Identifikation mit der Monarchie und dem Herrscherhaus zu befördern suchte. Erwiesen sich die Unterrichtswerke für die Elementarschulen als erstaunlich tolerant gegenüber nationalen Mythen, so unterlagen die Lehrmaterialien für die höheren Schulen einer strikteren Kontrolle, da der Staat die Schüler zu einem „österreichischen Staatspatriotismus“ erziehen wollte. Laurence Cole demonstriert dann am Beispiel der Veteranenverbände Südtirols, dass der österreichische Staat durchaus erfolgreich darin war, vertikale Bindungen zwischen Zentrum und Provinz zu etablieren, wobei sich die Verbände besonders auf eine deutsch- wie auch italienischsprachige katholisch-konservative Klientel stützten.

Auch die Dynastie selbst entfaltete Kohäsionskräfte, etwa im Rahmen der Inszenierungen des Monarchen anlässlich von Reisen in die Pro­vinzen seines Reichs. Vier Reisen sind es vor allem, die in diesem Zusammenhang beleuchtet werden: Sowohl 1874 in Prag als auch 1880 in Galizien und 1895 in Zagreb wurde der Monarch mit Begeisterung begrüßt und ließ sich als Vertreter des Fortschritts und als Vater seiner Völker feiern. Auf weniger Zustimmung dagegen traf er in Ungarn. Hier war es, so Alice Frei­feld, Elisabeth, die das Herrscherhaus und die ungarische Öffentlichkeit einander näher brachte, wobei man sich allerdings fragen kann, inwieweit die Monarchie daraus politischen Nutzen ziehen konnte.

Denn nicht von ungefähr heißt der Band „Limits of Loyalty“, machen doch alle Beiträge auch die Grenzen der Loyalitäten deutlich: Mit Blick auf die Trägerschichten der Nationalbewegungen verweist Bruckmüller darauf, dass häufig Gymnasiasten zu ihren begeisterten Unterstützern zählten, doch stehen genauere Forschung zur Rezeptionsgeschichte der Unterrichtsmaterialien noch aus. Auch für die Veteranenverbände konstatiert Cole, dass das liberale Bürgertum, das die Nationalbewegungen feder- und wortführend trug, diesen fernblieb. Bei den Kaiserreisen kann man festhalten, dass dort nationalpolitische Erwartungen an die Adresse des Herrscherhauses formuliert wurden, wenn etwa Franz Joseph in Prag als ungekrönter böhmischer König und nicht als Kaiser begrüßt wurde. Je länger außerdem mit der Königskrönung gezögert wurde, desto stärker verlor die böhmische Krone in den Augen der tschechischen Öffentlichkeit ihren Bezug zur Dynastie und wurde zu einem nationalen Symbol. Hugh LeCaine Agnew argumentiert daher, dass eine Krönung für den um Ausgleich bemühten Herrscher immer mehr einer pro-tschechischen Parteinahme gleichgekommen wäre.

Die Kaiserreisen konnten ihre integrierende Kraft nur entfalten, wenn es gelang, die lokalen Eliten in die örtlichen Inszenierungen einzubinden. Dafür jedoch war der Hof auf deren Mitwirkung angewiesen, so dass sich hier Spielräume für die Aushandlung von Loyalitäten ergaben. Daniel Unowsky zeigt dies am Beispiel von Feierlichkeiten in Galizien im Jahre 1880. Während die polnischen Konservativen die Kaiserreise nutzten, um den Herrscher als Symbol des Machttransfers von der Zentrale in die Provinz zu inszenieren, und diesem im Gegenzug ein loyales Galizien vor Augen führten, in dem polnische und ruthenische Bauern sowie Juden friedlich zusammenlebten, stellten ruthenische Intellektuelle diese Einheit angesichts der Festivitäten zum hundertsten Jahrestag des Beginns der Alleinherrschaft von Joseph II. in Frage. Polnische Demokraten wiederum gedachten des fünfzigsten Jahrestages des Aufstandes von 1830/31 und gaben damit zu verstehen, dass sie sich sehr wohl ein Galizien außerhalb des Verbandes der Habsburgermonarchie vorzustellen vermochten. Auch kroatische Jurastudenten stell­ten 1895 in Zagreb die bestehende Territorialordnung in Frage, als sie eine ungarische Flagge verbrannten. In ihrer Interpretation dieses Vorfalls argumentiert Sarah Kent, dass für diese Studenten keineswegs eine Einheit zwischen dem Monarchen und der ungarischen Herrschaft über Kroatien bestand, wie sie durch Franz Joseph und den Vizekönig Graf Khuen-Héderváry verkörpert wurde, sondern dass sie zwar den Monarchen als kroatischen König anerkannten, nicht aber die ungarische Dominanz. In ihrem Versuch, den Herrscher von dem von ihm selbst 1867 geschaffenen Dualismus zu trennen, drückten sie implizit auch aus, wo ihre Loyalität ihre Grenzen fand.

Die geschilderten Fälle zeigen, dass die behandelten lokalen Eliten nicht so sehr den Kaiser – als Oberbefehlshaber in den Veteranenverbänden Südtirols, als zu krönenden böhmischen König, als kroatischen König oder als Symbol des Machttransfers in die Provinz Galizien – und damit die Dynastie in Frage stellten, dass sie sich aber sehr wohl von ihm eine Bestätigung der konservativ geprägten sozialen Ordnung und damit ihrer Stellung darin erwarteten, was der Hof im Rahmen der Inszenierungen bedienen konnte, oder aber eine Unterstützung ihrer nationalen Aspirationen erhofften, was der Kaiser nicht erfüllen konnte. Dies zeigt zugespitzt Nancy Wingfield am Beispiel der liberalen Josephs-Bewegung. Diese forderte seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts nicht nur die dynastische Erinnerung des Herrscherhauses heraus, indem sie Joseph II., der zuvor vor allem als Volkskaiser dargestellt worden war, als deutschen Kaiser inszenierte. Indem die Statuen vielfach einer symbolische Inbesitznahme des öffentlichen Raumes gleichkamen, weil sie mit den Ritualen des deutschen Nationalismus verwoben wurden, stellten sie letztlich symbolisch die territoriale Integrität der Monarchie in Frage.

Alon Rachamimov zeigt schließlich, dass der Prozess der Selbstverortung für viele Juden der Monarchie stark von veränderlichen sozialen, kulturellen und politischen Kontexten abhing. Identifikation stellte für den Einzelnen, wie die Werke des Schriftstellers Avigdor Hameiri belegen, häufig einen schmerzhaften Prozess dar: Nachdem er sich 1914 als Patriot freiwillig gemeldet hatte und infolge einer Auseinandersetzung mit deutlich judenfeindlichen Obertönen an die Front abgeordnet worden war, blieb diese für den Pazifisten Hameiri dennoch ein positiv besetzter Ort, weil er sich hier als anständigen Bürger, stolzen Juden und männlichen Soldaten sehen konnte.

Die Beiträge machen somit deutlich, dass eine neue Gewichtung zentrifugaler und zentripetaler Kräfte vonnöten ist, um die Dauer der Existenz und den Zusammenbruch der Habsburgermonarchie angemessen beschreiben zu können. Ein Bild dafür prägt R. J. W. Evans, wenn er im Nachwort schreibt, bei den dreieinhalb Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges habe es sich um einen „veritable Indian summer“ für die europäischen Königshäuser gehandelt.

Tatjana Tönsmeyer, München/Berlin

Zitierweise: Tatjana Tönsmeyer über: Laurence Cole, Daniel L. Unowsky (eds.) The Limits of Loyalty. Imperial Symbolism, Popular Allegiances and State Patriotism in Late Habsburg Monarchy. Berghahn Books New York, Oxford 2007. = Austrian and Habsburg Studies, 9. ISBN: 978-1-84545-202-5, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 4, S. 576–578: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Toensmeyer_Cole_Limits_of_Loyalty.html (Datum des Seitenbesuchs)