A. K. Kirillov, M. Ju. Pasko, V. M. Rynkov (Hrsg.) Istorija Sibiri, 1583–2006. Problemy i per­spektivy. Sbornik materialov regional’noj molodëžnoj naučnoj konferencii. Izdat. Sova Novosibirsk 2006. 280 S., Tab.

Beruhend auf einer Konferenz, die im September 2006 im westsibirischen Akademgorodok stattfand, vereinigt der Sammelband vierzig Kurzbeiträge jüngerer russischer Historiker und Historikerinnen zur Geschichte Sibiriens von den Anfängen der russischen Kolonisation bis zur Einbindung Sibiriens in die postsowjetischen Transformationsprozesse – also eine Spanne von über vierhundert Jahren. Ambitiös mutet schon das Inhaltsverzeichnis an: hier werden die unterschiedlichsten Themen vorgestellt, von der Digitalisierung des reichhaltigen Quellenmaterials zur Geschichte Sibiriens, über die Entwicklung der ausländischen, vor allem deutschsprachigen Historiografie zu Sibirien, bis zu kultur-, wirtschafts- und rechtshistorischen Aspekten. Um es gleich vorwegzunehmen: Der Band bietet eher einen Querschnitt; eine Tiefenanalyse sucht der Leser vergebens. Herausgekommen ist ein verwirrendes Mosaikwerk, dessen Einzelteile zusammengesucht werden müssen, um überhaupt einen roten Faden zu finden. Unvermittelt reihen sich die Beiträge aneinander an; hier hätten die Herausgeber eine thematische Zuordnung finden müssen. Insgesamt handelt es sich um eine deskriptive Herangehensweise, von einem Problemaufriss bzw. dem Aufzeigen von Perspektiven – wie im Titel angekündigt – ist nichts zu spüren. Hier hätten eine Einleitung und eine Zusammenfassung mit konzeptionellen Hinweisen Abhilfe geschaffen. Nichtsdestotrotz gibt der Band einige Impulse, sich mit der Geschichte Sibiriens näher zu beschäftigen. Am innovativsten ist der Aufsatz von K. N. Širko über die Internetressourcen zur Geschichte Sibiriens, der zu einer weiteren Professionalisierung der Regionalgeschichte in der Russländischen Föderation führt und auch für die ausländische Geschichtswissenschaft von Nutzen sein wird. Zugleich verbirgt sich dahinter das Konzept der neuen, postmarxistischen „kraevedenie“, die interessanterweise an den vorrevolutionären sibirischen Regionalismus an­knüpft (z.B. das sibirische Internetprojekt in Tomsk: http://oblastnichestvo.lib.tomsk.ru). A. K. Kirillov, der Heraus­geber, stellt in seinem Beitrag die Digitalisierung von historischen Zeitungen vor. Es folgen dann deskriptive Kurzartikel zu verschiedenen Themen der sibirischen Geschichte. Da sind zum einen die mehr oder weniger erfolgreichen Versuche des neuzeitlichen russischen Staates, im 17. und 18. Jahrhundert eine Infrastruktur (Ver­kehr, Armee, orthodoxe Mission) aufzubau­en, sowie zum anderen die privatwirtschaftlichen Initiativen sibirischer Kaufleute, den Han­del bis nach Alaska auszuweiten. Zu einer Intensivierung der staatlichen Infrastrukturmaßnahmen kam es mit den Reformen ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Interessant ist hier der Hinweis V. V. Vedernikovs, dass zeitgleich eine Bü­ro­kra­ti­sie­rung des Verwaltungsapparates in Sibirien einsetzte, der Privatinitiative und Eigenverantwortlichkeit erheblich erschwerte. Den­noch formierte sich eine starke regionale Intelligenz (Beitrag von E. V. Komleva), die Anstoß zur Entwicklung einer bürgerlichen Gesellschaft in Sibirien gab. Hier traten als Träger vor allem zwei Gruppen hervor: die Unternehmer und die politischen Verbannten. Basis dieser bürgerlichen Gesellschaft war die Bildung. Die Gründung von Schulen und Museen wurde gefördert, wissenschaftliche Expeditionen zur Erforschung Sibirien fanden Geldgeber. Die Entwicklung zu einer bürgerlichen Gesellschaft wurde durch die Oktoberrevolution abgebrochen. Der Bürgerkrieg brachte die Anarchie nach Sibirien und ebnete den Weg zur repressiven Gesellschaft unter Stalin. Die Beiträge zur Kollektivierung, zur stalinistischen Nationalitätenpolitik gegenüber den so genannten „Kleinen Völkern“ und zum Zweiten Weltkrieg bringen substantiell nichts Neues. Interessant ist dagegen das Wiederaufleben religiöser Erweckungsbewegungen wie der Baptisten und Adventisten in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, die sich gegen die Diffamierung als „Staatsfeinde“ wehr­ten (Beitrag von V. P. Kljueva) und einen „bürgerlichen Raum“ gegen die Staatsmacht zu sichern suchten.

Eva-Maria Stolberg, Essen

Zitierweise: Eva-Maria Stolberg über: A. K. Kirillov, M. Ju. Pasko, V. M. Rynkov (Hrsg.): Istorija Sibiri, 1583–2006. Problemy i perspektivy. Sbornik materialov regional’noj molodëžnoj naučnoj konferencii. Izdat. Sova Novosibirsk 2006. ISBN: 5-87550-16-6, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 3, S. 418-419: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Stolberg_Kirillov_Istorija_Sibiri.html (Datum des Seitenbesuchs)