Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 61 (2013), 1, S. 130-131

Verfasst von: Ludwig Steindorff

 

Oliver Jens Schmitt: Skanderbeg. Der neue Alexander auf dem Balkan. Regens­burg: Pustet, 2009, 432 S., Abb., ISBN 978-3-7917-2229-0.

Geht man von den Ergebnissen seines politischen und militärischen Wirkens aus, ist Ge­org Kastriota Skanderbeg (1405–1468), wie der Autor resümiert, eine eher tragische Ge­stalt (S. 349). Alle Versuche, wirksame Unterstützung von benachbarten Mächten zu er­halten, waren schließlich gescheitert. Der Widerstand gegen die Durchsetzung der osma­nischen Herrschaft auch im Raum des heutigen Nordalbanien war am Ende doch gebro­chen, das Land verwüstet und entvölkert. Blickt man hingegen  auf Skanderbegs Handeln und seine Ziele selbst, so kann man leicht nachvollziehen, wie fasziniert seine Zeitgenos­sen von ihm waren und dass die Nachwelt ihn als Helden in Erinnerung behalten hat.  

Es ist nun das Anliegen von Oliver Schmitt, nicht nur den Lebensweg von Skanderbeg nachzuzeichnen, sondern dem Leser zugleich die Welt vorzustellen, in der er gewirkt hat, von der er geprägt war. Neben der Erfassung von publizierten Quellen und Forschungs­literatur, neben der Erschließung weiterer verstreuter Archivalien gehörten zu Schmitts Recherche auch Reisen in die Region, um sich eine bessere Anschauung vom damaligen Geschehen an den verschiedenen Schauplätzen machen zu können. Die meis­ten der dem Band beigegebenen Fotos entstanden auf diesen Reisen.

Als Sohn von Ivan Kastriota, einem Aufsteiger unter den albanischen Adelsfamilien, 1405 geboren, wurde Georg Kastriota 1423 Sultan Murad II. als Geisel übergeben. Er wurde Muslim und machte eine Karriere im Dienst des Sultans, erhielt den Beinamen Skanderbeg, „Herr Alexander“. Als der Vater 1443 auf Geheiß des Sultans ermordet wurde, begann Skanderbeg, verbündet mit anderen Adligen, einen Aufstand und kehrte zum Christentum zurück, seine Beinamen behielt er. Um Rückhalt sowohl gegen die Os­manen als auch Venedig, das seine Interessen im Küstengebiet bedroht sah, zu gewin­nen, wandte sich Skanderbeg 1550 an Alfons V. von Neapel. Papst Pius II. setzte sich für Skanderbeg ein; der Tod dieses Papstes 1664 ließ die Pläne für einen Feldzug zur Er­richtung eines epirotischen Königreiches scheitern, denn das dafür gezimmerte Bündnis zerfiel. Skanderbeg starb 1467 am Fieber. Zu der Zeit war schon absehbar, dass sein Kampf verloren war. Die Venezianer rechneten nicht mehr auf ihn, die Osmanen gingen zur Offensive über.

Die Darstellung wechselt zwischen chronologisch orientiertem Erzählen und systema­tischer Behandlung von Einzelaspekten. Auf das erste Kapitel, das die Zeit bis zur Wen­dung nach Westen 1550 umfasst, folgt die „Anatomie eines Aufstandes“ zu Themen wie Charisma, Herrschaft und Gefolgschaft, zur Rolle von Verwandtschaftsbeziehungen, Kriegsfinanzierung, Burgenbau und Art der Kriegsführung. Im Kapitel „Ein Held der Renaissance“ behandelt Schmitt die immer weitergehende Verschränkung von Skander­begs Zielen und mit dem Kalkül der Mächte in Italien. Immer mehr sah man in ihm einen neuen Alexander, der wie Alexander der Große seine Gegner überwinden und ein neues Reich begründen könnte. Die Überschrift „Der totale Krieg“ für das letzte Kapitel verweist auf die Brutalisierung der osmanischen Kriegsführung gerade wegen des so lan­gen hartnäckigen Widerstandes der anderen Seite.

Ein letztes Kapitel gilt den Folgen des gescheiterten Widerstandes und der Erinnerungskultur um Skanderbeg. Die albanische Stammesbildung vollzog sich erst jetzt innerhalb der Bevölkerungsteile, die sich aus dem Küstengebiet in die Berge zurückgezogen hatten. Viele Christen flohen nach Italien. Zur Entfaltung des Nachruhms von Skanderbeg hat das wahrscheinlich 1508 erschienene Werk des aus Skutari stammenden katholischen Geistlichen Marinus Barletius entscheidend beigetragen. In Abgrenzung von der Barletius gegenüber sehr skeptischen Forschung des 20. Jahrhunderts hält Schmitt dessen Erzählung unabhängig von der Verklärung Skanderbegs für weitgehend zuverlässig, da sie durch neue Quellenfunde bestätigt wird (S. 341). Außerhalb der gelehrten Schriftkultur ist die Erinnerung allmählich verblasst. Erst im 19. Jahrhundert wurde Skanderbeg durch Intellektuelle ‚wiederentdeckt‘, und er konnte zum Symbol deralbanischen Nationalbewegung werden.

Die Darstellung in den Kapiteln zur Lebenszeit von Skanderbeg besticht durch die Dichte und Lebhaftigkeit der in weiten Teilen von Quellenzitaten getragenen Er­zählung, durch die minutiöse Rekonstruktion von Abläufen, durch die anschauliche Schilderung von Landschaft und Lebensformen. Die von der Fülle des Erzählten hervorgerufene ‚Unübersichtlichkeit‘ ist gewollt, sie entspricht der Wahrnehmung der damaligen Akteure, der Wechselhaftigkeit ihrer Haltungen.

Darauf zielt anscheinend auch Schmitt ab, wenn er noch einen Abschnitt mit der Überschrift „Ein Aufstand und sein Anführer – Versuch einer Deutung“ folgen lässt. Eher ist es ein Perspektivwechsel hin zu Generalisierungen, die sich aus vorgegebenen Interessen und Konstellationen, aus dem Verhalten der Akteure ableiten lassen, vor al­lem davon, „dass auf beiden Seiten […] die Bruchlinien nicht entlang klaren räumlichen, gesellschaftlichen und sprachlichen Grenzen verliefen“ (S. 321). Entscheidend für die Region war die Spaltung zwischen denen, die sich mit der osmanischen Herrschaft ar­rangieren wollten, und denjenigen, die sie ablehnten und zum Widerstand bereit waren. Ethnos und Sprache wirkten nicht als Faktoren der Mobilisierung. Für die Identität war die Religion entscheidend. Der Aufstand war von Christen des östlichen und des westli­chen Ritus getragen, auch wenn die Kämpfer wahrscheinlich nur sekundär religiös moti­viert waren. Skanderbeg selbst bediente sich zunehmend einer religiösen Rhetorik (S. 324).

Bei den Küstenstädten fand Skanderbeg keinen Rückhalt; er stützte sich auf die klei­nen Burgstädte und die Hirtenwelt des Hinterlandes. Die Grenzen des von ihm gehalte­nen Territoriums waren fließend, die Herrschaft war durch persönliche Bindungen be­gründet.

Dem lokalen Adel war eigentlich nur an der Aufrechterhaltung der seit 1370, seit dem Niedergang des serbischen Nemanjidenreiches, entstandenen Kleinherrschaften gelegen, so dass er sich Skanderbeg nur schwerlich unterordnete und später von ihm abfiel. Erst das klare Bekenntnis zum Katholizismus machte den „neuen Alexander“ im Westen als Verbündeten akzeptabel; mit diesem Schritt trat Skanderbeg aus den üblichen Verhal­tensnormen seiner Umwelt heraus.

In einem Anhang gibt Schmitt Einblick in seine „Werkstatt des Historikers“, indem er die zentralen Quellen vorstellt und bewertet und einen Überblick über die Forschungs­geschichte gibt. Er erläutert die Verwendung von Ländernamen, Ethnonymen und Orts­namen. So ist für ihn das „Albanien“ seiner Zeit eine rein geographische Größe, die sich zudem nicht mit dem Sprachraum des Albanischen deckt (S. 353). Eine Karte, der An­merkungsteil, das Quellen- und Literaturverzeichnis und ein detailliertes Register be­schließen den Band. Bei einer Neuauflage ließe sich um der besseren Übersicht für den Leser willen noch eine auf das Leben von Skanderbeg konzentrierte Zeittafel beifügen.

Man kann dieses Buch, das an die schon vorher zahlreichen Publikationen des Autors zum spätmittelalterlichen Albanien wie auch zu Skanderbeg selbst anschließt, unter ganz verschiedenen Perspektiven lesen: als die weit ausgeführte Biographie von Skanderbeg, als strukturgeschichtlich angelegtes Zeitgemälde des südlichen Adriaraumes, als Beispiel für die Dekonstruktion von nationalgeschichtlichen Vereinnahmungen. In jedem Falle sind Erkenntnisgewinn und Lesevergnügen miteinander in bester Weise verbunden.

Ludwig Steindorff, Kiel

Zitierweise: Ludwig Steindorff über: OLIVER JENS SCHMITT: Skanderbeg. Der neue Alexander auf dem Balkan. Regens­burg: Pustet, 2009, 432 S., Abb., ISBN 978-3-7917-2229-0., http://www.oei-dokumente.de/JGO/Rez/Steindorff_Schmitt_Skanderbeg.html (Datum des Seitenbesuchs)

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