Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Gerhard Seewann

 

Miklós Zeidler Ideas on Territorial Revision in Hungary 1920–1945. Translated from the Hungarian by Thomas J and Helen Kornfeld. New York: Columbia University Press, 2007. XVI, 440 S. = East European Monographs, 717; CHSP Hungarian Studies Series, 15. ISBN: 978-0-88033-615-4.

Der Friedensvertrag von Trianon 1920, durch den Ungarn 71 % seines Staatsgebietes und 64 % seiner Bevölkerung verlor, hatte weitreichende, zum Teil bis heute andauernde Folgen. Zum einen war die gesamte ungarische Innen- wie Außenpolitik ein Vierteljahrhundert lang auf das Ziel der Rückgewinnung des Verlorenen, der Revision, fixiert. Zum anderen ist die Erinnerung an Trianon bis heute keineswegs nur ein Gegenstand historischer Reflexionen, sondern ein wirksamer Mobilisierungsfaktor aktueller Politik nach innen wie nach außen: einerseits im Verhältnis Ungarns zu den Nachbarländern, in denen als Folge von Trianon rund drei Millionen Ungarn als Minderheiten leben; andererseits kann keine ungarische Partei oder Regierung es sich leisten, das Trauma von Trianon und die dadurch gespaltene ungarische Nation, d.h. konkret die Lage der Ungarn „jenseits der eigenen Staatsgrenzen“ nicht in ihre politische Agenda einzubeziehen. Die Zugehörigkeit mehrerer Nachbarstaaten und Ungarns zur EU hat die Bedeutung dieser Grenzen in der Praxis bereits minimalisiert. Doch da in diesem Teil Europas selbst die Tagespolitik der historischen Legitimation bedarf, werden solche Grenzen immer wieder symbolisch aufgewertet und als in Frage gestellt gesehen, was in jüngster Zeit beispielsweise das nachbarschaftliche Verhältnis zwischen der Slowakei und Ungarn zu vergiften droht.

Es ist vor einem solchen Hintergrund eine große Leistung, ein Buch vorzulegen, das die historische Aufarbeitung des Trianon-Faktors der ungarischen Politik im Zeitraum von 1920 bis 1945 in sehr umfassender Weise vornimmt, ohne sich von tagespolitischen Aspekten beeindrucken zu lassen. Unter Auswertung der zeitgenössischen ungarischen Quellen und Publizistik werden dargestellt: die Folgen des Friedensschlusses für Wirtschaft und Gesellschaft Ungarns, die drei deutlich voneinander unterscheidbaren Perioden der Außenpolitik des Landes mit den zeitlichen Zäsuren 1919, 1927, 1933 und 1938, der Irredentismus im öffentlichen Leben und die davon bestimmte Geschichtspolitik und Erinnerungskultur und schließlich der Eintritt in den Zweiten Weltkrieg an der Seite des Dritten Reiches als unumgängliche Konsequenz der Revisionspolitik. Diese hatte in den eineinhalb Jahren zuvor mit den zwei Wiener Schiedssprüchen (betreffend Südslowakei und Nordsiebenbürgen) zu einem großen Erfolg geführt. Zusammen mit den infolge des Jugoslawien-Feldzuges im Frühjahr 1941 einverleibten Regionen hatte sich das Staatsterritorium Ungarns von 93.073 km2 auf 172.000 km2 (und damit um 84 %), und die Einwohnerzahl von 7,9 Millionen auf 14,7 Millionen (mit einem nichtungarischen Minderheitenanteil von 22,6 %) vergrößert. Doch dieser durch die Pax Germanica herbeigeführte Gewinn fiel nach nur dreieinhalb Jahren der siegreichen Pax Sovietica zum Opfer, und die Entwicklung gab dem einzigen überragenden Staatsmann der Zwischenkriegszeit, Graf István Bethlen (1921–1931 Ministerpräsident Ungarns) recht, der den Ersten Wiener Schiedsspruch vom 2. November 1938 wie folgt kritisch kommentierte: „all the difficult nationality issues in the Danube Basin should be resolved by a joint conference, consensus and compromise of all the Great Powers. […] These problems cannot be resolved satisfactorily by unilateral interests because unilateral solutions never result in satisfaction and serve only as a breeding ground for new rivalries and intrigues.“ (S. 291). Der Autor zieht daraus die Schlussfolgerung, dass eine solch einseitig angelegte Außenpolitik wie die ungarische Revisionspolitik in eine Sackgasse führen musste, weshalb ihre Erfolge beinahe so schnell verloren gingen, wie sie zuvor erzielt worden waren.

Im Unterschied zur ungarischen Ausgabe (erschienen unter dem Titel: A revíziós gondolat [Der Revisionsgedanke]. Pozsony 2009. 390 S.) fehlt in der amerikanischen die Bibliographie. Die Zahl der Bilder wurde in dieser gegenüber der ungarischen von 64 auf 40 verringert, die der Landkarten, die die verschiedenen Revisionspläne anzeigen, von 14 auf 12. Dafür fehlen in der ungarischen Ausgabe das Personenregister und die „biographical notes“ zu den im Text genannten historischen Personen. Es lohnt sich also, beide Ausgaben parallel zu benutzen und sich damit eine so unentbehrliche wie gründliche Orientierung über einen Konfliktstoff zu verschaffen, der die Geschichte dieses Raumes nicht nur bis 1945 mitbestimmt.

Gerhard Seewann, München/Pécs

Zitierweise: Gerhard Seewann über: Miklós Zeidler Ideas on Territorial Revision in Hungary 1920–1945. Translated from the Hungarian by Thomas J and Helen Kornfeld. New York: Columbia University Press, 2007. XVI, 440 S. = East European Monographs, 717; CHSP Hungarian Studies Series, 15. ISBN: 978-0-88033-615-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Seewann_Zeidler_Ideas.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2011 by Osteuropa-Institut Regensburg and Gerhard Seewann. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact redaktion@osteuropa-institut.de