Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 60 (2012) H. 3, S. 434-435

Verfasst von: Jürgen W. Schmidt

 

Nikita Petrov: Die sowjetischen Geheimdienstmitarbeiter in Deutschland. Der leitende Personalbestand der Staatssicherheitsorgane der UdSSR in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und der DDR von 1945–1954. Biografisches Nachschlagewerk. Herausgegeben von MEMORIAL International – Wissenschaftliches Zentrum für Information und Aufklärung. Berlin: Metropol, 2010. 774 S., Abb. ISBN: 978-3-940938-80-0.

Nikita Vasil’evič Petrov (Jg. 1957) war ursprünglich Atomphysiker, studierte später Geschichte und habilitierte sich 2008 an der Universität Amsterdam. Derzeit ist er Leiter des Programms zur Erforschung der Geschichte der sowjetischen Geheimdienste im wissenschaftlichen Zentrum der Gesellschaft „Memorial‟. In dieser Eigenschaft hat Pet­rov in schneller Folge mehrere wichtige Nachschlagewerke, biographische Handbücher und Dokumentensammlungen zur Geschichte der verschiedenen sowjetischen Geheimdienste herausgegeben, zuletzt in russisch-deutscher Zusammenarbeit mit Jan Foitzik die Dokumentensammlung „Die sowjetischen Geheimdienste in der SBZ/DDR von 1945 bis 1953“ (Berlin, New-York: De Gruyter, 2009). Nunmehr legt Petrov ein weiteres biographisches Handbuch vor, welches zugleich ein zentrales Werk zur Tätigkeit der sowjetischen Geheimdienste (NKWD, MWD, Smerš, MGB und später KGB) in der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland und der frühen DDR ist. Seinen detaillierten biographischen Angaben und Nachweisen, meistens inklusive eines Porträtfotos, zu mehr als 800 höheren sowjetischen Geheimdienstlern hat Petrov 150 Seiten mit Organisationsübersichten und detaillierten Personalbesetzungslisten verschiedenster zentraler und regionaler sowjetischer Geheimdiensteinrichtungen und spezieller Geheimdienstsparten auf dem Boden der SBZ vorangestellt. Viele jener Einrichtungen waren bislang kaum bekannt, und demzufolge existierten dazu kaum belastbare Angaben. Petrov behandelt in knapper, doch präziser Art und Weise: den Apparat des NKWD-KGB-Bevollmächtigten in Deutschland 1945–1954, die NKWD-MGB-Opera­tiv­sektoren in den einzelnen ostdeutschen Ländern und Provinzen, die NKWD-MWD-Abteilung der Gruppe der sowjetischen Besatzungsstreitkräfte in Deutschland, die Abteilung/Verwaltung Inneres der SMAD, die Abteilung Speziallager in Deutschland, die Abteilung Regierungs-Hochfrequenzleitung des MWD der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte, die Verwaltung für Spionageabwehr (Smerš) bei der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, die NKWD-MWD-Truppen in Deutschland und neben verschiedenen anderen geheimdienstlichen Strukturen, wie den sowjetischen Aufklärungsorganen für die Arbeit gegenüber den Westzonen Deutschlands und gegen die dort stationierten alliierten Streitkräfte, auch den bis jetzt in Deutschland noch nie untersuchten „Apparat des NKWD-NKGB-Bevollmächtigten in Ostpreußen“.

Wie prüft man nun die Stichhaltigkeit der unzähligen Angaben von Petrov? Obwohl der Rezensent aufgrund der bisherigen Bücher von Petrov nie den geringsten Zweifel an dessen gründlicher Arbeitsweise hatte, überprüfte er Petrovs Angaben zum sowjetischen Smerš-Chef der 4. Ukrainischen Front und späteren Stellvertretenden Staatsicherheitsminister der Sowjetunion und MGB-Bevollmächtigten in der SBZ, Generalleutnant Nikolaj Kuzmič Koval’čuk, anhand der Angaben eines Koval’čuk gut kennenden sowjetischen Geheimdienstüberläufers. Die 1950 in nur geringer Auflage erschiene Publikation „Smersch – Ein Jahr im Lager des Feindes“ des ehemaligen Smerš-Offiziers und karpathoukrainischen Nationalisten Nikola Sinewirskij blieb nämlich Petrov ausweislich seines Literaturverzeichnisses unbekannt. Trotzdem ergab sich, für den Rezensenten nicht unerwartet, die Deckungsgleichheit aller vergleichbaren Angaben. Zusätzlich konnte Petrov Angaben über das weitere Ergehen jenes hohen Geheimdienstgenerals nach 1950 machen. Nach Stalins Tod wurde er nämlich nach einer schwindelerregenden Karriere in den Jahren von 1938 bis 1953 schon im Juni 1954 „wegen Diskreditierung“ aus dem Dienst entlassen, und knapp 5 Monate darauf wurde ihm auch die Generalswürde entzogen. Offensichtlich einsam und vergessen, ohne nochmals eine höhere Funktion zu bekleiden, verstarb Kovalčuk, wie Petrov eruieren konnte, im Jahr 1972 in Kiev.

Leider weist das Buch eine nicht geringe Zahl an Druckfehlern auf, und noch häufiger gibt die Qualität der Übersetzung wegen der Unkenntnis militärischer und geheimdienstlicher Fachtermini Anlass zum Kopfschütteln. Sicher werden die Handbücher und Nachschlagewerke aus der Feder Petrovs wegen ihres sehr speziellen Inhalts keinen allzu großen Leserkreis finden. Man sollte jedoch ungeachtet dessen zur Kenntnis nehmen, welche Fülle an interessanten Informationen zur Geschichte der Jahre 1945–1954 man hier finden kann. So war ausgerechnet der einstige sowjetische Untersuchungsführer im Fall des Schauspielers Heinrich George von 1991–2000 Leiter des Projekts „Dialog der Kulturen“ an der Universität für Geisteswissenschaften in Moskau (S. 195/196).

Jürgen W. Schmidt, Berlin

Zitierweise: Jürgen W. Schmidt über: Nikita Petrov: Die sowjetischen Geheimdienstmitarbeiter in Deutschland. Der leitende Personalbestand der Staatsicherheitsorgane der UdSSR in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und der DDR von 1945–1954. Biografisches Nachschlagewerk. Herausgegeben von MEMORIAL International – Wissenschaftliches Zentrum für Information und Aufklärung. Berlin: Metropol, 2010. 774 S., Abb. ISBN: 978-3-940938-80-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schmidt_Petrov_Die_sowjetischen_Geheimdienstmitarbeiter.html (Datum des Seitenbesuchs)

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