Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 60 (2012) H. 2, S. 268-269

Verfasst von: Franziska Schedewie

 

Carl Heinrich Merck: Das sibirisch-amerikanische Tagebuch aus den Jahren 1788–1791. Hrsg. von Dittmar Dahlmann, Anna Friesen und Diana Ordubadi. Göttingen: Wallstein, 2009. 413 S., 33 Abb., Kte. ISBN: 978-3-8353-0545-8.

Wer vor zweihundert Jahren den Fernen Osten erkundete, reiste nicht mit Laptop und Digitalkamera. Carl Heinrich Merck, in Darmstadt geborener Arzt und von 1788 bis 1791 Teilnehmer der „Geheimen astronomischen und geographischen Expedition zur Erforschung Ostsibiriens und Alaskas“ unter Katharina II., brach zu seinen Beobachtungstouren als Naturforscher am Rande der Welt in Begleitung eines Jägers, eines Zeichenmeisters und eines Ausstopfers auf. Die Anforderungen an Vorwissen auf den Gebieten der Tier- und Pflanzenkunde, der Geologie, der wissenschaftlichen Klassifizierung und Beschreibung sowie an das Gespür für den Umgang mit fremden Menschen waren enorm. Denn was nützte ein solches Unternehmen, wenn die Ergebnisse nicht möglichst vollständig, anschaulich und verwertbar nach Hause gebracht werden konnten? Zudem arbeiteten die Expeditionsteilnehmer unter extremen Bedingungen. Mehr schlecht als recht gerüstet gegen eisige Kälte, Dunkelheit und Nässe, zwang sich Merck doch tagtäglich, seine Beobachtungen tagebuchartig festzuhalten.

Die Herausgeber des „sibirisch-amerikanischen Tagebuchs“ weisen zu Recht auf diese besonderen Entstehungshintergründe hin. Gleichzeitig lässt der Band erkennen, vor welchen Anforderungen an Sachkenntnis und Ausdauer die Bearbeiter ihrerseits standen: Der erste Teil des Buches, eine ausführliche Einleitung, ordnet Mercks Unternehmung mit Details zu seiner Biographie in den Kontext der Erforschung Sibiriens im 18. Jahrhundert ein und versorgt den Leser mit allen quellenkritischen Angaben zum herausgegebenen Text. Die systematische Aufarbeitung von Querverbindungen zum europäischen Geistesleben lässt an Mercks Beispiel die Bedeutung von Forschungsreisen in der Epoche der Aufklärung greifbar werden. Teil zwei des Buches umfasst Mercks Schriften, bestehend aus Tagebüchern und einem Brief an den älteren großen Sibirienforscher Peter Simon Pallas. Dass diese Texte für uns flüssig lesbar sind, verdanken wir dem Aufwand, mit dem hier ein „Rohtext“ entziffert und aufbereitet wurde. Nicht nur der Zustand des Manuskripts, welches nach seiner Abfassung auf den Inseln des Nordpazifik noch eine Odyssee durch die Hände verschiedener Besitzer nahm, oder Mercks Eigenheiten bei Schreibweisen und Einschüben haben vor schwierige Aufgaben gestellt, sondern vor allem die Inhalte der Aufzeichnungen, in denen eine exotische, für uns weit zurück und weit entfernt liegende Welt mit wissenschaftlicher Akribie und unter Verwendung fremdartig gewordener Fachtermini beschrieben wird. Einen wichtigen Teil des Buches bildet denn auch der Fußnotenapparat, der sowohl durch Worterklärungen zum Textverständnis beiträgt als auch gründlich recherchierte Kontextinformationen bietet.

Mercks Tagebuch ist durch einen eigenartig gleichmütigen, seiner scheinbar zeitlosen, unwirtlichen Umgebung angepassten Schreibstil geprägt. In der bearbeiteten Form liest sich das Tagebuch als fesselnder Reisebericht, den man nicht aus der Hand legen möchte. Interessanter als die Beschreibungen verschiedener Vogelarten und Gesteine ist dabei für Historiker und Ethnologen sicherlich sein Bild der Lebensweisen der indigenen Bewohner, der Itel´menen, Čukčen, Alëuten und Yupik. Merck bemerkt, dass dies nicht deren erster Kontakt mit westlichen Reisenden war, und verleiht durch diesen Hinweis auf mögliche Einflüsse seinen Kulturbeschreibungen, so die Herausgeber, einen hohen Grad an wissenschaftlicher Qualität und Verlässlichkeit. Als Leser wünscht man sich unwillkürlich, Merck hätte in der ihm eigenen Darstellungsart noch mehr sein eigenes Zurechtkommen und das der Expeditionsmannschaft in der abgeschiedenen Wildnis der Natur und bei den Einheimischen beschrieben. Doch war dies nicht sein Auftrag und daher auch nicht zu erwarten. Daher zeigt auch dieser spontane Wunsch eher, welche spannende Lektüre und wertvolle Quelle die Bonner Herausgeber publiziert haben, in einem durch eine Karte und zum Teil farbige Illustrationen (aus Mercks Zeit, wenngleich nicht aus seinem Nachlass) auch äußerlich ansprechenden Band.

Franziska Schedewie, Heidelberg

Zitierweise: Franziska Schedewie über: Carl Heinrich Merck Das sibirisch-amerikanische Tagebuch aus den Jahren 1788–1791. Hrsg. von Dittmar Dahlmann, Anna Friesen und Diana Ordubadi. Göttingen: Wallstein Verlag, 2009. ISBN: 978-3-8353-0545-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schedewie_Merck_Das_sibirisch-amerikanische_Tagebuch.html (Datum des Seitenbesuchs)

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