Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 60 (2012), 1, S. 125-126

Verfasst von: Gert Robel

 

Georg Wilhelm Steller / Johann Eberhard Fischer: Reisetagebücher 1738 bis 1745. Bearbeitet von Wieland Hintzsche unter Mitarbeit von Heike Heklau. Halle: Verl. der Franckeschen Stiftungen, 2009. XLI, 601 S., 1 Kte. = Quellen zur Geschichte Sibiriens und Alaskas aus russischen Archiven, VII. ISBN: 978-3-939922-12-4.

Der Band VII dieser umfangreichen Quellenedition, die in Zusammenarbeit zwischen den Franckeschen Stiftungen und der Petersburger Zweigstelle des Archivs der RAN erarbeitet wird und für deren einzelne Bände das parallele Erscheinen einer deutschen und einer russischen Ausgabe vereinbart ist (Band IV, 1 und Band VI liegen bisher nur in der russischen Ausgabe vor), vervollständigt die in Band III publizierten Dokumente (G. W. Steller: Briefe und Dokumente 1739. Halle 2001). Sie umfassen geographisch das Gebiet Westsibiriens, jenen waldreichen, stark bergigen Raum zwischen dem oberen Enisej und dem südlich von Angara / Tunguska liegenden Gebiet, der im Süden durch das Sajangebirge abgeschlossen wird.

Von Steller selbst, der Anfang 1739 in Enisejsk seine Instruktionen von G. Müller und J. G. Gmelin empfing, stammen nur sein „Reisejournal von Enisejsk bis Irkutsk: 6. März bis 2. Mai 1739“ (S. 1158) und die in Latein verfasste „Beschreibung von Flüssen und darin lebenden Fischen auf dem Weg von Enisejsk bis Irkuck vom März 1739“ (S. 159–167, dt. Übers. S. 167–174; Anm. S. 167–180). Den spezifischen Interessen des „Adjunkten für Naturgeschichte“ der Petersburger Akademie entsprechend, ist der Beschreibung der Tier- und Pflanzenwelt besondere Aufmerksamkeit gewidmet, doch verzeichnet der Verfasser, gemäß der Instruktion J. G. Gmelins und G. F. Müllers für Steller (s. Band I der Edition, S. 71–93), geographisch gewissenhaft auch Landmarken und Flüsse, Kirchen und Klöster, schildert Art und Lebensverhältnisse der ansässigen Bevölkerung, ihre Niederlassungen (mit Hofzahlen) und ihre Gewerbe. Seine Angaben über die indigenen Gruppen sind ob der inzwischen verschwundenen Ethnien wie den Arinzen (S. 324 passim), Assanen (S. 25 ff) und Kotowzen (S. 466 ff passim) nicht nur für Ethnologen von Interesse. Beide Dokumente ergänzen die ob ihrer Erfassung der vorkommenden Fischarten bemerkenswerte „Beschreibung des Weges von der Stadt Enisejsk bis zur Stadt Irkuck aus dem Jahre 1739“ (S. 181–207), die Stellers Begleiter, der Student Aleksej Gorianov erstellte, und auch die „Beschreibung des Wasserwegs von der Stadt Irkuck die Flüsse Angra, Tunguska und Enisej abwärts bis zur Stadt Enisejsk aus dem Jahre 1738“, die der Übersetzer Ilja Jachontov auf Weisung und unter Aufsicht G. F. Müllers während der Flussreise des Detachements im August jenes Jahres abfasste. Letztere zeichnet sich durch detaillierte Entfernungsangaben zwischen den einzelnen Punkten aus. Die Gesamtlänge der Fahrt wird mit 1753 Werst angegeben, wohingegen das „Werstverzeichnis der Provinzialkanzlei von Irkuck“ (S. 447–450) 1561 Werst angibt. Die Gefahren, die dieser Reiseweg barg, notierte Gmelin in seiner Beschreibung „Von den Wasserfällen in den Flüssen Angara. Tunguska und Enisej“ (S. 295–304), die auf seinen Erfahrungen der Jahre 1738 und 1739 beruhten.

Johann Eberhard Fischers „Teil des Reisejournals auf der Reise nach Irkuck (vermutlich) aus dem Jahr 1744 oder dem Jahr 1745“ (S. 387–393) ist wenig aussagekräftig (wohl nur der Vollständigkeit des Materials halber aufgenommen), seine „Beschreibung des Wasserwegs von Irkuck nach Enisejsk aus dem Jahr 1745“ (S. 397–444) dagegen umso wertvoller. Fischer erweist sich als aufmerksamer und genauer Beobachter mit dem Blick des Historikers. Die soziale und ökonomische Lage der Menschen samt deren administrativer Ordnung stehen im Zentrum seines Berichts. Er ergänzt so vorzüglich Stellers naturwissenschaftliche Sicht. Seine „Beschreibung des Weges von Tomsk über Krasnojarsk nach Balaganskoj ostrog“ (S. 305–385), die ihn 1741 über Kansk, Udinsk und Tulun führte, schildert mit der gleichen Sorgfalt und Umsicht die Verhältnisse im südlichen Westsibirien, wo er der Situation der indigenen, jazakpflichtigen tatarischen Bevölkerung (und ihrer Unzufriedenheit mit der russischen Herrschaft) ebensolche Aufmerksamkeit zumisst wie derjenigen der russischen. Auch hier sind die Entfernungen sorgfältig notiert, denn die Verbesserung der administrativen Routen- und Werstverzeichnisse zählte zu den Aufgaben der Expedition.

Die genau erfassten Daten versahen nicht nur die russische Verwaltung mit den erforderlichen Informationen und mit Material kartographischer Natur, sondern gestatten heute eine recht zuverlässige Rekonstruktion der Situation im westlichen Sibirien um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Die Veränderungen im hydrographischen System von Angara und Tunguska (durch Wasserkraftwerke u. a. Bauten, Flussbegradigungen etc.) lassen sich damit ebenso feststellen wie die demographischen der indigenen – wie auch der russischen – Bevölkerung. Der Band liefert das Material für die historische Geographie des mittleren und südlichen Westsibiriens.

Die Edition ist mit der gleichen Sorgfalt vorgenommen, wie sie auch die früher erschienenen Bände auszeichnet. Die Texte sind umfassend annotiert, ihre Anmerkungen lassen keine Wünsche offen. Den Editionsprinzipien gemäß liegt eine Einleitung (S. IX–XVIII) vor; ihr folgen Verzeichnisse der Abkürzungen, Siglen und Zeichen (S. XIX–XXIII) und schließlich der Literatur (S. XXIV–XLI). An ein nützliches Glossar (S. 458–481) schließen sich die Register der Personen (S. 482–499) und der geographischen Namen (S. 500–547) sowie das Sachregister (S. 548–601) an. Eine Übersichtskarte zeigt (leider nicht Personen bezeichnend) die Reiserouten der Expeditionsteilnehmer auf. Dass in die Titel der einzelnen Beiträge die Jahreszahlen ihrer Abfassung aufgenommen sind, erschwert zwar das Zitieren, vermag dieser vorbildlichen Edition aber keinen Abbruch zu tun.

Gert Robel, München

Zitierweise: Gert Robel über: Georg Wilhelm Steller / Johann Eberhard Fischer: Reisetagebücher 1738 bis 1745. Bearbeitet von Wieland Hintzsche unter Mitarbeit von Heike Heklau. Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen zu Halle, 2009. XLI. = Quellen zur Geschichte Sibiriens und Alaskas aus russischen Archiven, VII. ISBN: 978-3-939922-12-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Robel_Steller_Fischer_Reisetagebuecher.html (Datum des Seitenbesuchs)

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