Mark von Hagen War in a European Borderland. Occupations and Occupation Plans in Galicia and Ukraine, 1914–1918. University of Washington Press Seattle, WA 2007. XI, 122 S., 1 Karte = Donald W. Treadgold Studies on Russia, East Europe, and Central Asia. ISBN: 978-0-295-98753-8.

Der amerikanische Militärhistoriker von Hagen legt ein Bändchen vor, dem auf erstaunlich wenigen Seiten den Versuch gelingt, die vier Besatzungsregime der ukrainischen Kriegszone im Ersten Weltkrieg durch verschiedene Mächte zu vergleichen. Dazu nutzt er vorwiegend ältere Literatur und einige unveröffentlichte US-amerikanische Arbeiten. Im Anmerkungsapparat wer­den zusätzliche Studien genannt, während einige Titel nur in der Bibliographie erscheinen. Ein nur zwei Jahre zuvor erschienenes und thematisch verwandtes Büchlein (Alexander Vic­tor Prusin Nationalizing a Borderland. War, Ethnicity and Anti-Jewish Violence in Eastern Galicia, 1914–1920. Tuscoloosa 2005), das auf die russische Besetzung Galiziens eingeht, ist ihm unbekannt geblieben. So ist als eigentliche Leistung des Verfassers die prägnante Zusammenschau der ethnisch, konfessionell und sozial stark fragmentierten Großregion anzusehen, die durchaus überzeugt. Die komplizierte Ereignisgeschichte jener Jahre wartet auf ausgreifendere wissenschaftliche Ansprüche; auf methodisch raf­finierte Ansätze oder eine Diskussion verzichtet der Verfasser.

Er beginnt seinen Vergleich mit der österreichischen „Besetzung“ Galiziens seit Kriegsbeginn, als eine nervöse und dann auch erfolglose österreichische Führung bei den schwierigen inneren Verhältnissen des entlegenen Grenz-Kron­landes in jedem ostslawischen Einwohner einen Spion und Verräter sah und zeitweilig über­reagierte („1. Transformation of Austrian Galicia“). Nach der Einnahme Galiziens und der Nordbukowina durch die russische Armee vom September 1914 schritt die Besatzungsverwaltung bis Juni 1915 zur unsensiblen Umsetzung russischer Kriegsziele: Russifizierung und Zwangskonversion der Unierten zur Orthodoxie stellten dabei besonders reaktionäre Maßnahmen dar, die weit hinter die Errungenschaften des Revolutionsjahres 1905 zurückfielen, das nicht nur freiheitlichere Rechte für alle russischen Untertanen, sondern auch die Anerkennung des Ukrainischen als eigenständige ostslawische Sprache gebracht hatte. Einheimische Juden waren unter der russischen Besatzungsherrschaft in besonderer Weise Leidtragende, da sie als deutschfreundlich galten und daher der Kollaboration mit den Mittelmächten verdächtigt wurden („2. Russian War Aims and Wartime Propaganda“). Das für die Zivilbevölkerung im Besatzungsgebiet geltende harte Kriegsrecht reichte noch über die rigide Militärjurisdiktion hinaus, die in der gesamten russischen Kriegszone vom Finnischen Meerbusen bis zur Dnepr’-Mündung herrschte.

Nach der Vertreibung der Russen regierten für elf Monate wieder die Österreicher, die außerdem mit ihrem nördlich an Galizien angrenzenden Besatzungsgebiet „Militärgouvernement Lublin“ und in Teilen von Wolhynien zu einer Besatzungspolitik gezwungen waren, die die gegensätzlichen Wünsche und Bedürfnisse von Polen und Ukrainern, beide gleichzeitig auch Untertanen der Habsburgermonarchie, zu berücksichtigen hatte. In dieser Phase („3. The Ukrainian Adventure of the Central Powers“) wandten sich die ukrainischen Nationalisten außerhalb des Russischen Reichs endgültig der freier agierenden deutschen Ostpolitik zu, nachdem ihnen Wien nichts bieten konnte, was nicht gleichzeitig polnische Aspirationen verletzte. Nach der erfolgreichen Brusilov-Offensive im Juni 1916 gerieten der Tarnopol-Streifen und die Bukowina wiederum für ein Jahr unter russische Besatzung, die diesmal vorsichtiger und rücksichtsvoller gegenüber der ukrainischen Bevölkerung agierte, aber auch nach der Februarrevolution 1917 ebenso erfolglos blieb wie 1914/15 („4. The Second Russian Occupation Regime“). Die letzte vom Verfasser untersuchte Okkupation dauerte von März bis November 1918 und betraf nun das gesamte Territorium der Ukraine sowie die Westteile des Donkosakengebiets („5. The German Occupation of Ukraine“). Von Hagen charakterisiert sie differenziert und ausgewogen, wenngleich die Ereignisse sich seit Sommer 1918 dort zunehmend überstürzten und Einzelsträngen nicht weiter nachgegangen wird. Das betrifft etwa die Tätigkeit verschiedener anarchistischer Bewegungen wie der von Nestor Machno, die weniger durch bäuerliche Unzufriedenheit – etwa wegen der Rückgängigmachung von Enteignung und Aufteilung des Großgrundbesitzes oder wegen der Getreideaufbringung durch die Besatzungsmacht – bedingt waren, als man bei der Lektüre anzunehmen verführt wird.

Trotz einzelner Fehler wie etwa Erzherzog Wilhelm als österreichischer Thronfolger oder des angeblich panikartigen deutschen Rückzugs aus der Ukraine im November 1918 (S. 98 tatsächlich blieben die Deutschen bis Februar 1919 da) gelingt es von Hagen, einem interessierten Leserkreis, der sich rasch eine kompetente Übersicht über die verworrenen Verhältnisse einer neuralgischen Zone der Weltkriegszeit verschaffen will, einen „stereoskopischen“ Blick auf die Materie zu bieten, wie er seine Absicht kennzeichnet. Er lässt den beteiligten Seiten historische Gerechtig­keit widerfahren, indem er etwa herausstellt, dass der Bund zur Befreiung der Ukraine kein bloßes Instrument der Mittelmächte für deren Kriegsziele, sondern eine eigenständige politische Organisation war, oder indem er die Unterschiede zwischen der deutschen und der österreichischen Besatzungspolitik im Jahre 1918 aufzeigt, wie sie etwa in den Memoiren des Hetmans Pavlo Skoropads’kyj aufscheinen. Trotzdem verliert er sich nicht in Einzelheiten, die am osteuropäischen Schauplatz mitunter historische Bedeutung erlangten. Dass alle Besatzungsregime trotz sehr verschiedener Voraus­setzungen letztlich „scheiterten“, lag auch an der bis heute prekären Mittellage der Ukraine zwischen widerstrebenden Machtblöcken.

Reinhard Nachtigal, Freiburg/Br.

Zitierweise: Reinhard Nachtigal über: Mark von Hagen War in a European Borderland. Occupations and Occupation Plans in Galicia and Ukraine, 1914–1918. University of Washington Press Seattle, WA 2007. = Donald W. Treadgold Studies on Russia, East Europe, and Central Asia. ISBN: 978-0-295-98753-8, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 1, S. 129-130: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Nachtigal_von_Hagen_War.html (Datum des Seitenbesuchs)