Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 60 (2012), 1, S. 142-144

Verfasst von: Stefan Lehr

 

Karina Pryt: Befohlene Freundschaft. Die deutsch-polnischen Kulturbeziehun­gen 1934–1939. Osnabrück: fibre, 2010. 515 S., zahlr. Abb. = Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau, 22. ISBN: 978-3-938400-53-1.

Die deutsch-polnische Annäherung nach der Nichtangriffserklärung vom 26. Januar 1934 war und ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Es wirkt zunächst erstaunlich, dass beispielsweise Goebbels 1934 als erster deutscher Minister Polen besuchte und die Aufwertung der Gesandtschaften zu Botschaften 1934 auf Hitler persönlich zurückging. Göring reiste zwischen 1935 und 1938 alljährlich zur Jagd nach Polen und nahm 1935 an den Trauerfeierlichkeiten für Piłsudski in Krakau teil. In Berlin fand unter Hitlers Anwesenheit ein Gedenkgottesdienst für den polnischen Staatsmann statt.

Hitlers Annäherung an Polen nach 1934 war ein Unicum. Sie passte weder in das Schema der traditionell negativen preußisch-deutschen Polenpolitik noch zum deutschen Revisionismus gegenüber Polen nach 1918 und umso weniger zu Hitlers antislawischer Lebensraumideologie und zur späteren brutalen nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Polen im Zweiten Weltkrieg. Auch auf polnischer Seite war man spätestens seit 1939 darum bemüht, dieses fünfjährige Kapitel deutsch-polnischer Zusammenarbeit zu vertuschen.

Die bisherige Forschung beschränkte sich vor allem auf diplomatische und politische Aspekte der deutsch-polnischen ‚Freundschaftsära‘. Pryt dagegen legt mit ihrer an der Universität Freiburg verteidigten Dissertation eine verdienstvolle Untersuchung der deutsch-polnischen Kulturbeziehungen für die Bereiche Theater, Film, Musik und Ausstellungen vor. Darüber hinaus untersucht sie (bilaterale) Organisationen wie die Polnisch-Deutsche Gesellschaft in Warschau sowie das Deutsch-Polnische Institut und die Deutsch-Polnische Gesellschaft in Berlin.

Pryts Arbeit ist chronologisch aufgebaut und in vier große Kapitel gegliedert. Zunächst referiert Pryt solide auf der Grundlage wissenschaftlicher Literatur traditionelle deutsche Polen- und polnische Deutschenbilder. Auch die politischen Beziehungen zwischen der Weimarer Republik und Polen stellt die Autorin dar. Anschließend analysiert sie die deutsche und polnische auswärtige Kulturpolitik sowie die Rolle von Filmen in den bilateralen Beziehungen. Darauf folgen zwei Unterkapitel, welche die Annäherung zwischen Berlin und Warschau, die Wende in ihrer Politik sowie Hitlers Rolle bei diesen Vorgängen behandeln. Dieser Teil des Buches, der 122 Seiten umfasst und sich überwiegend auf wissenschaftliche Literatur stützt, hätte sicherlich kürzer und komprimierter ausfallen können. Das zweite Kapitel (S. 123–188) stellt die politischen und kulturpolitischen Beziehungen nach 1934 dar und geht speziell auf die unterschiedlichen Felder der Zusammenarbeit ein. Der Hauptteil der Arbeit, der jedoch mit S. 189 deutlich zu spät einsetzt, ist dann in aller Breite der Umsetzung des deutsch-polnischen Kulturaustausches gewidmet. Das letzte Kapitel behandelt schließlich das Ende der Kooperation und den Weg in den Krieg.

Pryt spürt den Intentionen der Annäherungspolitik, ihren praktischen Ergebnissen im Kulturbereich sowie deren Wahrnehmung und Wirkung sowohl bei den Akteuren als auch in der deutschen und polnischen Gesellschaft nach. Zentral ist die Frage, ob die NS-Führung mit ihrer Kulturpolitik gegenüber Polen „lediglich eine kurzfristige Beschwichtigungsstrategie verfolgte oder eine längerfristig geplante Zusammenarbeit mit Polen anstrebte“ (S. 12). Pryt vertritt hierbei die These, dass die fünfjährige „Verständigungskampagne“ nicht nur als ein Täuschungsmanöver Hitlers gedeutet werden sollte. Vielmehr erwarteten beide Seiten von den intensiven Kulturkontakten konkrete Resultate und maßen ihnen eine erhebliche Bedeutung bei. Die NS-Führung beabsichtigte, Polen als Juniorpartner in eine antisowjetische Allianz einzubinden. Polnische Politiker des Sanacja-Regimes andererseits sahen in der Zusammenarbeit die Möglichkeit, Polen als eine der westlichen Kultur zugehörige Nation zu präsentieren und sein Image in Deutschland zu verbessern.

Pryt verknüpft die politischen mit den kulturellen Beziehungen. Auf deutscher Seite ging das in der Öffentlichkeit unpopuläre Bündnis von 1934 auf Hitler selbst zurück. Es konnte – so die Autorin – allein von ihm aufgrund seines Ansehens und der diktatorischen Regierungsform durchgesetzt werden. Hitlers Haltung gegenüber Polen war nicht einseitig negativ; so schätzte er Piłsudski und brachte dem Sieg der Polen über das revolutionäre Russland im Krieg von 1920 Respekt entgegen. Andererseits war der „Österreicher“ Hitler für polnische Politiker in mancher Hinsicht akzeptabler als die aus polnischer Sicht traditionell antipolnisch eingestellten Preußen. Piłsudski favorisierte langfristig eine Verbesserung des Verhältnisses zu Deutschland.

Die wechselvollen Beziehungen zwischen 1934 und 1939 erreichten 1935/36 ihren Zenit. 1937 kühlten sie deutlich ab, gewannen aber im Folgejahr noch einmal für kurze Zeit an Schwung. Zweifelsohne gab es zwischen den beiden Regimen Gemeinsamkeiten wie die Feindschaft gegenüber der Sowjetunion und dem Kommunismus. Andererseits zeigt Pryt auch klar die Unterschiede zwischen dem diktatorischen Deutschland und dem autoritären Polen. Sie macht zudem deutlich, dass beide Seiten mit dem Bündnis ihre jeweils eigenen Interessen verfolgten und polnische Politiker letztlich die vom NS-Regime geforderte Politik nicht bereit waren mitzutragen.

Auf breiter Quellengrundlage, unter Auswertung vor allem von amtlichen Akten der beiden Botschaften und Auswärtigen Ämter, von Zeitungsartikeln und Erinnerungen zeichnet Pryt anschaulich den vor dem Hintergrund des politischen Bündnisses vereinbarten Kulturaustausch nach. Dieser manifestierte sich insbesondere 1935/36 in einer großen Wanderausstellung polnischer Kunst, die in zahlreichen deutschen Städten gezeigt wurde. Daneben kam es zu wiederholten erfolgreichen Auftritten des Sängers Jan Kiepura, der Schauspielerin Pola Negri und des Balletttänzers Feliks Parnell in Deutschland. Deutsche Filme und Filmprojekte griffen polnische Themen meist aus der Zeit der polnisch-sächsischen Union und der polnischen Aufstände gegen Russland mit deutlich antisowjetischer Stoßrichtung auf. Die Erstaufführung der polnischen Nationaloper Halka von Moniuszko in Deutschland fand 1935 in Hamburg statt.

Die deutsch-polnische Freundschaftsära war kurz und in der Öffentlichkeit, ja selbst bei Teilen der politischen Elite beider Länder unbeliebt. Dennoch brachte sie mit dem Presseabkommen vom Februar 1934, das auch Literatur, Rundfunk, Film- und Theaterwesen einbezog, eine Beruhigung der Beziehungen und erstmals eine objektivere Berichterstattung über Polen in Deutschland. Andererseits erfuhr die Propagierung deutscher Kulturleistungen in den Bereichen Film, Theater und Musik in Polen einen Boykott durch die polnischen Juden, die im Kulturbereich einflussreich waren. Auch die Kontrolle der Berichterstattung in den Medien konnte in Polen nicht in der gleichen Intensität wie im „Dritten Reich“ durchgesetzt werden. Pryts Untersuchung bietet zahlreiche interessante Aspekte: so die Vorstellung der einzelnen Filme, des Verhaltens der führenden NS-Vertreter in den deutschen Ostprovinzen und die letztlich überwiegend negativen Reaktionen der Öffentlichkeit in beiden Ländern. Der Leser erfährt auch, was die beteiligten polnischen Künstler über ihre Indienstnahme für das „Dritte Reich“ dachten.

Die Autorin hat mit profunder Sachkenntnis ein bisher wenig beleuchtetes Kapitel der deutsch-polnischen Beziehungen akribisch erforscht und damit ein wichtiges Buch vorgelegt.

Stefan Lehr, Münster

Zitierweise: Stefan Lehr über: Karina Pryt Befohlene Freundschaft. Die deutsch-polnischen Kulturbeziehungen 1934–1939. Osnabrück: fibre, 2010. = Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau, 22. ISBN: 978-3-938400-53-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Lehr_Pryt_Befohlene_Freundschaft.html (Datum des Seitenbesuchs)

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