Roger Bartlett, Gabriela Lehmann-Carli (Hrsg.) Eighteenth-Century Russia: Society, Culture, Economy. Papers from the VII International Conference of the Study Group on Eighteenth-Century Russia, Wittenberg 2004. Lit Verlag Berlin 2007. X, 549 S. = Geschichte: For­schung und Wissenschaft.

Um die aktuellen und langfristigen Trends der Forschung zum Russland des 18. Jahrhunderts zu verfolgen, gibt es wohl kaum ein hilfreicheres Medium als die zuletzt konsequent im Abstand von fünf Jahren abgehaltenen internationalen Konferenzen der Study Group on Eighteenth-Century Russia und die diesen nachfolgenden Konferenzbände. Ärgerlich ist freilich, dass manche Tendenz bis zur Drucklegung vielleicht schon wieder passé ist. Immerhin einundvierzig der insgesamt siebenundsiebzig im Jahr 2004 in Wittenberg gehaltenen Vorträge haben nun eine schriftliche Ausarbeitung gefunden; die thematische Klammerung der wohl aus praktischen Gründen aus den einzelnen Panels herausgelösten Aufsätze in die drei Großkapitel „Literature, Theatre, Censorship“, „Ideas, Discourse, Cultural Transfer“ und „Society, Individuals, Economy“ erscheint allerdings bisweilen arg konstruiert. Zu wenig folgen die einzelnen Beiträge einer gleichen Fragestellung, zu selten nehmen sie tatsächlich inhaltlich aufeinander Bezug. Für die erste Sektion ist zu konstatieren, dass hier eher klassisch anmutende Beiträge zum Thema der Zensur im Kontext des Theaters (Silke Brohm) oder innerhalb der Moskauer Universität (Galina A. Kosmolinskaja; Ol’ga Aleksandrovna Tsapina) neben solchen zu einzelnen Autorinnen und Autoren stehen. So geraten Katharinas historische Dramen ebenso in den Blick (Giovanna Moracci) wie Savilij fon Ferelcts politischer Reisebericht (Ales­sand­ra Tosi). Marcus C. Levitt diskutiert Sumarokovs ambivalente Haltung gegenüber der Normierung von Orthographie: Einer grundsätzlichen Skepsis auf der einen Seite stand auf der anderen der empfundene Mangel an normierend und regulierend wirkenden staatlichen Institutionen gegenüber. Wendy Rosslyn widmet sich mit ihrer Untersuchung der Frühgeschichte russischer Schauspielerinnen dagegen einem bisher ungeschriebenen Kapitel der Geschichte der öffentlichen Sichtbarkeit des Weiblichen; Maria Chiara Pesenti beschreibt am Beispiel der aus Westeuropa entlehnten kulturellen Ausdrucksformen Theater und populärer Volksbilderbogen detailliert deren Anpassung an die russische Tradition bzw. „Russifizierung“.

Dem Stichwort des Ideen- bzw. Kulturtransfers wird eine Vielzahl der im zweiten Großkapitel behandelten Beiträge allerdings nicht wirklich gerecht – und das wollen sie am Ende vielleicht auch gar nicht; denn nicht die Trias Ausgangskultur, Vermittlungsinstanz und Zielkultur sowie deren vielfältige Verwebungen steht im Zentrum der meisten Untersuchungen, sondern zunächst einmal traditionelle Rezeptionsgeschichte einerseits westeuropäischer Autoren in Russland (so Maria Christina Bragone zu Eras­mus von Rotterdam und Stefan Reichelt zu Johann Arndt) oder andererseits von Geistesströmungen wie des Pietismus im Kontext der russi­schen Freimaurerei (Natal’ia Dmitrievna Ko­chet­kova). Obschon traditionell in ihrem Zuschnitt, verstehen die Verfasser Rezeption keineswegs als bloß passive Übernahme. Dass nicht nur abstrakte Ideen, sondern gerade auch solche, die als reale Orte physisch erfahrbar wurden, ihren Weg in das Russische Reich fanden, zeigt der Beitrag Gitta Hammarbergs anhand der sich entwickelnden Kurbäder-Kultur, die sich unter Peter dem Großen als eines der zahlreichen Verwestlichungsprojekte zu entwickeln begann – inklusive des dazugehörigen gesellschaftlichen Diskurses über die Freuden der Erholung. Ein Adaptionsprozess ganz anderer Art steht dagegen bei Andreas Renner im Zent­rum des Interesses: Er beschreibt am Beispiel der Medizin die sogenannte „Scientific Revolution“ in Russland als einen pragmatischen Intentionen folgenden Vorgang, so dass dieses bei Russland bisher stets ausgesparte Konzept nur in „Verdünnung“ anwendbar sei.

Stellvertretend für die Themenvielfalt der dritten Sektion soll hier der Beitrag David L. Ransels genannt werden, der am Beispiel des sich im Laufe des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts entwickelnden eigenen „kaufmännischen“ Stils in der russischen Porträtmalerei den Distinktionsprozess einer sich formierenden und sich mehr und mehr als gesellschaftlich relevant wahrnehmenden Gruppe nachzeichnet. In Abgrenzung zum europäisierten Adel suchte man einen Stil zu entwickeln, der in der eigenen Kultur verwurzelt war.

Letztlich lässt sich ein so zwangsläufig disparater Band auch als eine Leistungsschau der Forschung begreifen, und so bleibt zu wünschen, dass die hier allein in Auswahl und in unbefriedigender Kürze vorgestellten Aufsätze wenigstens annähernd die Mannigfaltigkeit der Ansätze vermitteln konnten. Diese Vielfalt vermag zu inspirieren – vielleicht ja auch zu einem erneuten Versuch, eine vergleichbare study group auf nationaler Ebene ins Leben zu rufen und so die Kooperation untereinander zu intensivieren?

Alexander Kraus, Köln

Zitierweise: Alexander Kraus über: Roger Bartlett, Gabriela Lehmann-Carli (Hrsg.): Eighteenth-Century Russia: Society, Culture, Economy. Papers from the VII International Conference of the Study Group on Eighteenth-Century Russia, Wittenberg 2004. Lit Verlag Berlin 2007. = Geschichte: Forschung und Wissenschaft. ISBN: 978-3-8258-9887-8, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 3, S. 436-437: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Kraus_Bartlett_Eighteenth_Century.html (Datum des Seitenbesuchs)