Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Nikolaus Katzer

 

Eric C. Landis Bandits and Partisans. The Anto­nov Movement in the Russian Civil War. University of Pittsburgh Press Pittsburgh, PA 2008. XVI, 381 S., 3 Ktn., 6 Abb. = Pitt Series in Russian and East European Studies. ISBN: 978-0-822-94343-3.

Unter den inzwischen zahlreichen Regionalstudien zum russischen Bürgerkrieg bildet die vorliegende insofern eine Ausnahme, als sie mit dem Gouvernement Tambov ein recht vertrautes Feld erneut bearbeitet. Längst geht es nicht mehr um den stereotypen Nachweis bzw. die Widerlegung der Behauptung, die Partei der Sozialrevolutionäre (PSR) habe sich durch Anzettelung von Bauernunruhen ein letztes Mal ins po­litische Machtspiel bringen wollen. Doch hat sich insgesamt der Blick auf den revolutionären Umbruch zwischen 1914 und 1921 verschoben. Sozialhistorische Untersuchungen über die gesellschaftlichen Folgen von Mobilisierung und Demobilisierung oder von Deportation und Migration im Ersten Weltkrieg haben bereits jene Frontlinien aufgezeigt, an denen sich der innere Krieg entzündete. Erst sie erlauben es, die Eigenart des lokalen Geschehens wahrzunehmen, es interregional zu vergleichen und in seiner Wechselbeziehung mit dem Gesamtgeschehen zu betrachten. Daran ist jede neue Arbeit zu messen.

Erik C. Landis lässt in seiner Studie offen, wie sehr ihm an einer Revision seiner Vorläufer oder einem Beitrag zur Komparatistik des Bürgerkriegs gelegen ist. Vielmehr wählt er ohne Umschweife die „Antonov-Bewegung“ (benannt nach dem Anführer der Rebellion, Aleksandr S. Antonov [1889–1922], und seinem weniger bedeutsamen jüngeren Bruder Dmitrij) als Leitfaden, um sich einen Erkenntnisweg durch das Dickicht des antibolschewistischen bäuerlichen Widerstands in Tambov zu bahnen. Dabei erfährt der ältere Antonov einige neue biographische Facetten. Doch erschien er schon den Zeitgenossen eher als Phantom denn als öffentliche Person. Es existiert lediglich eine einzige Fotografie, die ihn im Mannesalter zeigt, abgesehen von dem Bild der entblöß­ten Leichname der beiden am 22. Juni 1922 hingerichteten Brüder. Selbst die ČK-GPU war ihrer eher durch Zufall habhaft geworden. Auf breiter Materialgrundlage – Landis hat in zentralen und regionalen Archiven recherchiert – wird das Bürgerkriegsgeschehen im Gouvernement Tambov detailreich rekapituliert. Die revolutionäre Herrschaft der Sowjets über die Bauern war von Beginn an wenig stabil. Nach ihrem Zusammenbruch wurde das Land zum Aufmarschgebiet rivalisierender bewaffneter Gruppen. Unter diesen gewannen Antonovs Verbände 1920 die Oberhand. Doch auch sie konnten das aufrührerische Potential, das sich vor allem an der bolschewistischen Getreidepolitik, den Requisitionen und der Zwangsrekrutierung entzündete, nicht zum Aufbau regionalstaatlicher Strukturen nutzen. Letztlich blieben ihre weiterreichenden Ziele im Ungefähren und wurden stets aufs Neue von den drängenden Fragen der unmittelbaren Verteidigung gegen die Rote Armee oder die Truppen der Sicherheitsorgane in den Hintergrund geschoben. Der Vorgang der ‚Sowjetisierung‛ des gesamten Territoriums nach 1921 war indessen nur bedingt eine Rückeroberung. Einerseits waren die Methoden im Verlaufe des Bürgerkriegs brutaler geworden. Der systematische Terror erstickte auf Dauer den kollektiven Abwehrwillen der Bauern. Für den Erfolg der Bol’ševiki waren nun Geiselnahmen und Konzentrationslager, gezielt belagerte und besetzte Dörfer, drakonische Vergeltungsakte, die Konfiskation sämtlichen Eigentums oder das Niederbrennen von Siedlungen ausschlaggebend (S. 241–242). Andererseits hatten die Bol’ševiki ‚gelernt‛, begrenzte Zugeständnisse zu machen, um die Loyalität beim Gegner zu untergraben. Doch war Antonovs Rückhalt in der Bevölkerung wegen der Disziplinlosigkeit seiner Anhänger und wegen mangelnder Zukunftsperspektiven ohnehin fragil.

Landis stellt seiner Untersuchung nur einen knappen Forschungsbericht voran. Dies ist nicht zwangsläufig ein Nachteil, weil sich Konzept und Position des Verfassers im Zuge der Arbeit erschließen. In neun Kapiteln gelingt durch die Verbindung aus Geschichtserzählung, methodischer Überlegung und Wertung eine flüssige und lesenswerte Darstellung. Ihr besonderer Wert liegt in der Fokussierung des Partisanenwesens. Allerdings hätten hier einige begriffliche Klärungen manche Unschärfen vermeiden helfen. Es geht keineswegs nur um die Korrektur der sowjetischen Terminologie, mittels derer redundant und eher mystifizierend das „Banditentum“, die „konterrevolutionäre Verschwörung“ oder der „kulakische Aufstand“ der PSR gebrandmarkt wurden. Wesentlicher ist, dass in der Geschichte des 20. Jahrhunderts die geläufigen, wertenden Zuschreibungen „Partisan“, „Bauernrebell“ oder „Aufständischer“ vielfach neu konnotiert wurden. Gelegentlich benutzt Landis diese Begriffe synonym. Wenn sich Aleksandr Antonov zum „Bürgerkriegsbanditen“ (S. 41) bzw. „Landpartisanen“ wandelte, wäre nicht nur nach der Semantik solcher Charakteristik, sondern auch nach den Konsequenzen für seine Gefolgschaft zu fragen (S. 122). Entscheidender noch ist, dass es sich um Kategorien der Interpretation und nicht der Analyse handelt. Die teils juristisch begründeten, teils ideologisch überzeichneten bzw. rein polemischen Bezeichnungen, mit denen die Maßnahmen der Sowjetmacht gegen „das Banditentum“ und „die Deserteure“ bzw. die Kampagnen beider Seiten zur „Mobilisierung“ und „Gegenmobilisierung“ sowie zur „Requirierung“ und „Gegenrequirierung“ legitimiert wurden, bedürfen schon deshalb der Erörterung, weil sie auch als Sachbegriffe in Umlauf waren. Nicht minder heikel sind Verallgemeinerungen, die mit der unterschiedslosen Verwendung des Begriffs „Ok­kupation“ einhergehen (siehe etwa die Passagen S. 215, 227, 241 und 269ff.). In der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts steht dieses Vokabular für ein höchst widersprüchliches Geschehen, das in der Vergangenheit als „Volkskrieg“ markiert worden ist. Wer in den Bürgerkriegsregionen aus dem zermürbenden Ringen rivalisierender Gewaltinstanzen als Sieger hervorging, wurde maßgeblich durch den Zustrom an Überläufern, die Einmischung überregionaler Protektoren und vor allem durch die Fähigkeit bestimmt, administrative Strukturen aufzubauen. Ansonsten war für die Zeitgenossen nicht immer eindeutig entscheidbar, ob sie Mitglieder eines Revolutionskomitees oder bäuerlicher Selbst­verteidigungsmilizen, Partisanen, „Grü­ne“, vagabundierende Rotarmisten oder Freischärler vor sich hatten. Nur gelegentlich erinnerten die Fronten der Tambovščina an die eines regulären Krieges. Erst als es den Agenten der ČK gelang, in den rebellischen Milieus Fuß zu fassen und im Verbund mit der Roten Armee ein stabileres Besatzungsregime zu errichten, ebbte der Widerstand ab. Die Befriedung der rebellischen Provinz war ein komplexer Vorgang, der die dörflichen Gemeinden spaltete und desorientierte. Kollaboration war unter diesen Bedingungen Ausdruck eines verzweifelten Strebens nach Normalität und Berechenbarkeit (S. 273).

Manche Rätsel kann auch Landis nicht lösen. Die Wiederherstellung der dörflichen Welt aus dem revolutionären Chaos erscheint ebenso wundersam wie die Tilgung des „Bauernkrieges“ aus dem kollektiven Gedächtnis. Wurde später die Kollektivierung als Déjà-vu erlebt? Landis’ Fazit könnte ernüchternder kaum sein: Antonov taugte weder zum folkloristischen Volkshelden noch zur Identifikationsfigur für die regionale Traditionsbildung. Ihm fehlte offenbar das Charisma, den ungleichen Kampf gegen die Sowjetmacht wenn schon nicht zum Sieg zu führen, so doch wenigstens zu einem bleibenden Zeugnis bäuerlichen Behauptungswillens zu machen. Es wäre an der Zeit, die Tambovščina nicht mehr isoliert, sondern im Vergleich mit den Herrschaften der Atamane und Warlords in anderen Gegenden des revolutionären Russlands zu betrachten.

Nikolaus Katzer, Hamburg

Zitierweise: Nikolaus Katzer über: Eric C. Landis Bandits and Partisans. The Antonov Movement in the Russian Civil War. University of Pittsburgh Press Pittsburgh, PA 2008. XVI. = Pitt Series in Russian and East European Studies. ISBN: 978-0-822-94343-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Katzer_Landis_Bandits_and_Partisans.html (Datum des Seitenbesuchs)

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