Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Ausgabe: 59 (2011) H. 3

Verfasst von: Karl Kaser

 

Albanische Geschichte. Stand und Perspektiven der Forschung. Hrsg. von Oliver Jens Schmitt und Eva Anne Frantz. München: Oldenbourg, 2009. 280 S. ISBN: 978-3-486-58980-1.

Um die Albanologie wäre es schlecht bestellt, gäbe es nicht eine kleine internationale wissenschaftliche Gemeinschaft, welche die Geschichts-, Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Ethnologie über die albanischen Gebiete mit frischem theoretischem und methodologischem Wind versehen würde. Zu diesem Schluss muss man aufgrund der Lektüre des Bandes kommen. Wie Schmitt einleitend ausführt, wurden bewusst keine albanischen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen beigezogen, „mit dem Ziel, eine feste Basis für eine spätere umfassende Diskussion mit albanischen Historikern zu schaffen“. Ob dieses hehre, übergeordnete Ziel erreicht werden kann, muss dahingestellt bleiben, zumal in den Beiträgen allenthalben die mangelnde Rezeptionsbereitschaft der albanischen Albanologie herausgestrichen wird. Was der Band jedoch mit Sicherheit leistet, ist eine kritische Bestandsaufnahme der historisch orientierten albanologischen Wissenschaftsdisziplinen und eine Hinterfragung von Dogmen der albanischen Albanologie, wie etwa jener von der illyrisch-albanischen Kontinuität.

Diese wird von den beiden Auftaktbeiträgen Joachim Matzingers („Die Albaner als Nachkommen der Illyrer aus der Sicht der historischen Sprachwissenschaft“) und Stefan Schumachers („Lehnbeziehungen zwischen Protoalbanisch und balkanischem Latein bzw. Romanisch“) klar zurückgewiesen. Sie vertreten die nicht neue These, dass es sich beim Albanischen um ein vom Illyrischen (und Thrakischen) unabhängiges altbalkanisches Idiom handelt. Sollte sich diese Theorie weiter verfestigen, wäre die illyrisch-albanische Kontinuitätsthese nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Oliver Jens Schmitt kommt in seinem Beitrag „‚Monade des Mittelalters‘ – die Albaner im Mittelalter“ zu einem ernüchternden Befund über die albanische Mittelalterforschung. Gemessen an ihrer Bedeutung – erstmals werden die Albaner in schriftlichen (byzantinischen) Quellen erwähnt – sei sie personell unterbesetzt und habe in den Jahren seit 1991 keinen wesentlichen Beitrag zur mediävistischen Albanologie geleistet. Sie werde von einer in kommunistischer Zeit ausgebildeten Wissenschaft­lergeneration dominiert, eine nachrückende Generation sei nicht auszumachen. Publikationen zum Mittelalter stammten primär von Journalisten. Dies erklärt auch, weshalb Schmitts kritische Beurteilung der albanischen Skanderbeg-Historiographie eine von außerwissenschaftlichen Kräften geschürte Welle der Empörung ausgelöst hat.

Kritisch beurteilt Markus Koller auch die albanische Osmanistik. In „Albaner im Osmanischen Reich – ein historiographischer Überblick (17. und 18. Jahr­hun­dert)“ kommt er zu dem Schluss, dass der Mythos von der Unterdrückung des albanischen Volkes und dessen permanentem Kampf gegen die osmanische ‚Fremdherrschaft‘ noch immer forschungsleitend sei. Außerdem habe die Konzentration auf die Wirtschaftsgeschichte dazu geführt, dass kulturgeschichtliche und alltagsweltliche Fragestellungen großteils ausgeklammert würden.

Nathalie Clayer („Religion, Nationsbildung und Gesellschaft“) konstatiert Forschungsdesiderate in Bezug auf die Rolle der Religion für die albanische Staatswerdung. Bernd J. Fischer („The Second World War in Albania: History and Historical Agendas“) sieht die Notwendigkeit einer völligen Neubewertung des Zweiten Weltkriegs durch die albanische Historiographie und empfiehlt eine synthetische Darstellung im Rahmen des Kriegsgeschehens auf dem Balkan. Michael Schmidt-Neke („Zwischen Kaltem Krieg und Teleologie: Das kommunistische Albanien als Objekt der Zeitgeschichtsforschung“) fordert eine abschließende Beurteilung des albanischen Kommunismus, die wohl irgendwo zwischen Terrorregime und gerechtfertigter Entwicklungsdiktatur liegen würde. Robert Pichler („Die Albaner in der Republik Makedonien – Geschichtswissenschaft im Spannungsfeld von Politik und sozialer Marginalisierung“) analysiert im umfangreichsten Beitrag das zunehmende Auseinanderdriften von makedonischer Staatsgeschichtsschreibung und albanischer Nationalhistoriographie aus einer lebensweltlichen Perspektive. Stefanie Schwandner-Sie­vers („‚Jungfrauen‘ und ‚Elefanten im Porzellanladen‘: Zur internationalen Herausforderung der albanischen Ethnologie im Postsozialismus“) setzt darauf, dass eine jüngere und im Ausland ausgebildete Generation eine Internationalisierung der albanischen Ethnologie einzuleiten imstande sein wird. Robert Elsie („Albanian Literary History and Albanian Literary Culture: Observations on Recent Developments“) sieht Anzeichen einer breiteren internationalen Rezeption literarischen Schaffens jenseits von Ismail Kadare. Noel Malcolm („The ‚Great Migration‘ of the Serbs from Kosovo (1690): History, Myth and Ideology“) schließlich dekonstruiert unhaltbare Mystifizierungen der durch die habsburgische Besetzung des Kosovo 1689/90 ausgelösten demographischen Entwicklungen.

Abschließend ist festzuhalten, dass dem Band einerseits kein Handbuchcharakter zukommt; dafür weist er zu viele Lücken auf (Archäologie, Zwischenkriegszeit, Kosovo). Andererseits stellt er eine profunde und höchst willkommene Orientierungshilfe für jene dar, die sich mit einem der besprochenen Teilbereiche der Albanologie befassen oder sich damit zu beschäftigen trachten.

Karl Kaser, Graz

Zitierweise: Karl Kaser über: Albanische Geschichte. Stand und Perspektiven der Forschung. Hrsg. von Oliver Jens Schmitt und Eva Anne Frantz. R. Oldenbourg Verlag München 2009. ISBN: 978-3-486-58980-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Kaser_Schmitt_Albanische_Geschichte.html (Datum des Seitenbesuchs)

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