Christoph Schmidt Gemalt für die Ewigkeit. Geschichte der Ikonen in Russland. Böhlau Verlag Köln, Weimar, Berlin 2009. 303 S., 9 Farb­abb., 16 s/w-Abb. ISBN: 978-341220285-9.

„Nicht selten springt der Kunsthistoriker herum wie ein Wellensittich, nimmt vieles in den Schnabel, gelangt aber nur selten zum Kern.“ (S. 9) Die einleitenden Überlegungen des Verfassers versuchen, das Medium „Ikone“ in den offenen Raum zwischen Historikern, Kunsthisto­rikern und Theologen zu platzieren. Könnte ein pikierter Kunsthistoriker mit der Replik zurückschlagen: „Der Historiker gräbt meist herum wie ein Maulwurf und macht sich die Hände in der Hoffnung schmutzig, im Dunkeln einen fetten Bissen zu ergattern“? Die Ausdrucksweise des Verfassers ist, wie nicht nur dieses eine Beispiel zeigt, originell, teils erfrischend, teils an der Grenze des Seriösen. Was wird über den bedeutendsten deutschen Kunsthistoriker gesagt, wenn Schmidt charakterisiert: „Aby Warburg (*1866), […] der 1918 eine psychiatrische Anstalt aufsuchte“ (S. 8)? Ja, der jüdische Gelehrte hat das Grauen des Ersten Weltkrieges nicht verwinden können. Vorweg hätte man erwähnen, darstellen können, dass die russischen Ikonen späte, meist zweit- oder drittklassige Kopien von griechischen oder balkanslavischen Vorlagen sind, weder ikonographisch noch stilistisch originell. Doch der Verfasser will sich gar nicht in diese Richtung drängen lassen – als Profanhistoriker zieht er die Ikone heran, um die russische Geschichte an ihrem auffallend­sten kulturellen Merkmal zu exemplifizieren. Als Einführung(svorlesung) in die russische Geschichte gesehen, ist das Buch ein echter Geniestreich. Es regt auch den Kenner an, ohne den allgemein Interessierten beiseite zu lassen. Ob die Ikone Hodegetria „die Weggefährtin“ (S. 58) ist, bleibe dahingestellt, ebenso, ob sie im Unterschied zur Smolenskaja „das Kind nicht auf dem Schoß hält, sondern auf dem Arm“ (Abb. 8). Die Geschichte der Ikonen in Russland geht für den Autor mit der Epoche Peters I. zu Ende. Eine Anzahl von Anekdoten und Zitaten verständnisloser Ausländer und die Wundergeschichte über die Beschießung des Klosters Solovki 1854 durch englische Kriegsschiffe beenden den historischen Teil. Doch auch im 20. Jahrhundert spielen Ikonen bei religiösen und militärischen Zeremonien noch eine Rolle, dann in den Theorien der russischen Avantgarde bis hin zum „Schwarzen Quadrat“ Malevičs. Schließlich ist der Verkauf tausender Ikonen nach Deutschland, dem u.a. das Ikonen-Museum Recklinghausen seine Fülle an Exponaten verdankt, als kulturhistorisches Faktum von Bedeutung, nicht zu vergessen die Untergrund-Geschichte der Ikone unter Stalin und das Thema „Ikone und Photographie“. Der allgemeine Teil des Buches, mehr oder minder in Form eines Anhangs, resümiert das Thema, geht schließlich auf west-östliche Ikonenliteratur ein und mündet in einer dreißigseitigen Bibliographie, die bis zu den jüngsten Forschungsarbeiten reicht.

Frank Kämpfer, Hamburg

Zitierweise: Frank Kämpfer über: Christoph Schmidt: Gemalt für die Ewigkeit. Geschichte der Ikonen in Russland. Böhlau Verlag Köln Weimar Berlin 2009. 303 S., 9 Farbabb., 16 s/w-Abb. ISBN: 978-341220285-9276, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 2, S. 276: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Kaempfer_Schmidt_Gemalt_fuer_die_Ewigkeit.html (Datum des Seitenbesuchs)