Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 3, S.  445-446

Alison Fleig Frank Oil Empire. Visions of Prosperity in Austrian Galicia. Harvard University Press Cambridge, MA, London 2005. XX, 343 S., 3 Ktn., 12 Abb., 6 Tab. = Harvard Historical Studies, 149. ISBN: 978-0-674-01887-7.

In den letzten Jahren sind eine Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten zur Geschichte des habsburgischen Galiziens erschienen. Der Eindruck, dass dieses Gebiet somit ausreichend erforscht sei, ist jedoch ein falscher, wie auch die vorliegende Arbeit zeigt. Gerade die Wirtschaftsgeschichte dieses Kronlands wurde von der Forschung insofern stark vernachlässigt, als man sich vielfach auf wohlfeile Schlagwörter wie „Rück­ständigkeit“, „Armenhaus Europas“ oder „ko­loniale Peripherie“ beschränkte. Die historische Realität war freilich komplexer, was Frank in der vorliegenden Arbeit anschaulich zeigt. „Oil Empire“ basiert auf der ebenfalls veröffentlichten Dissertation der Autorin von 2001 (Alison Fleig Frank Austrian El Dorado. A History of the Oil Industry in Galicia 1853–1923. Cam­bridge, MA 2001). Vom Qualifizierungsdruck befreit, gibt sich die Autorin jetzt teilweise recht ungebremst ihrer Formulierungsfreude hin und holt weit, manchmal auch zu weit, aus. Dennoch ist „Oil Empire“ aus diversen Gründen eine sehr anregende Lektüre: Es liegt keine reine Wirtschaftsgeschichte vor, welche allein die quantitative (dieser Faktor kommt tatsächlich etwas sehr kurz) oder qualitative Förderung des Rohstoffes Öl in Galizien aufzeigt, was die Monarchie immerhin zeitweise zum drittgrößten Erdölproduzenten der Welt machte; dies freilich mit deutlichem Abstand zu den Vereinigten Staaten und dem Zarenreich. Vielmehr wird u.a. gezeigt – und das ist ein spannender Ansatz –, welche Auswirkungen der Rohstoffreichtum auf die Ausbildung nationaler Identitäten und des Unternehmergeistes hatte. Den häufig diskutierten Fragen, welche ‚Schuld‛ die Wiener Zentrale an den prekären sozialen und ökonomischen Gegebenheiten in diesem Kronland trug, ob sie dieses etwa tatsächlich als ‚Kolonie‛ behandelte und welche Rolle der Rohstoff in der Gesamtökonomie der Donaumonarchie spielte, geht die Autorin gleichermaßen nach. Die Geschichte der galizischen Ölindustrie war insgesamt keine Erfolgsstory: Nach einem schleppenden Beginn kam es bereits wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg zu einer Überproduktionskrise. Zwischen 1914 und 1918 schaffte es die Monarchie infolge der zweimaligen russischen Besetzung und wegen fehlgeleiteter infrastruktureller Weichenstellungen nicht, das so kriegswichtige Öl in ausreichendem Maß zu fördern. In der Zwischenkriegszeit sank die Bedeutung der galizischen Ölfelder schnell ab. Was waren, neben den naturräumlichen Grundlagen, die Gründe dafür? Frank bezeichnet die von den dominierenden Polen gewünschte und durchgesetzte De­zentralisierung der Monarchie sowie die übernationale Interessenkonvergenz der „Galizier“ in den 60er bis 80er Jahren des 19. Jh. als Kardinalfehler. Unkontrolliert und mit vielfach unbrauchbaren Mitteln wurde in dieser Zeit mit der unsystematischen Förderung begonnen. Zum Boom kam es, als in großem Maß ausländische Kapitalgeber in Galizien investierten. Eine spürbare Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung oder ein ganz Galizien erfassender take off trat freilich nicht ein. So ist denn auch Franks Urteil eindeutig: „For the Galician oil industry, it was too much autonomy, not too little, that proved catastrophic” (S. 255).

Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel sowie eine ausführliche Einleitung und einen Schlussteil, in dem noch die Zeit bis in den Zweiten Weltkrieg angerissen wird. Galizien als Teil der Habsburgermonarchie wird im ersten Kapitel vorgestellt, ehe die Auseinandersetzungen zwischen örtlichen Akteuren und denen in der Wiener Zentrale um die Schürf- und Ausbeutungsrechte ausgeführt werden. Anschließend werden entscheidende Handlungsträger wie William Henry MacGarvey und Stanisław Szczepanowski, der mit seiner Untersuchung „Nędza Galicyi w cyfrach i program ener­gicz­ne­go rozwoju gospodarstwa krajo­we­go“ (Lwów 1888) einen wesentlichen Beitrag zu der zeitgenössischen Diskussion über die wirtschaftliche und soziale Lage des Kronlands lieferte. Der Lage der Erdölarbeiter und den Schwierigkeiten ihrer gewerkschaftlichen und parteipolitischen Organisierung ist ein weiteres Kapitel gewidmet. Es folgen Betrachtungen zur Überproduktionskrise und deren Ursachen, der Kriegsphase sowie den Auseinandersetzungen zwischen polnischen und ukrainischen Aktivisten während des „Kampfes um Galizien“ Ende 1918, Anfang 1919.

Die Untersuchung basiert auf einem breiten Korpus veröffentlichter und unveröffentlichter Quellen, der erfreulicherweise auch deutschsprachiges Schrifttum berücksichtigt. Leider sind die so zahlreichen deutschsprachigen Forschungsarbeiten zu Galizien nur in geringer Auswahl berücksichtigt worden. Manche Fehleinschätzung hätte vermieden werden können, wenn dies der Fall gewesen wäre. So ist Franks Charakterisierung Mychajlo Drahomanovs als ein „Ukrainian socialist“ (S. 15) irreführend, denn er hing nicht den Lehren der westlichen Sozialdemokratie an, sondern war ein selbsternannter „Bauernsozialist“; dies sollten die Leser schon erfahren. Ihn zudem als „leader of the Ukrainian radical nationalist movement of the Russian Empire“ (S. 15) zu bezeichnen, geht insofern fehl, als er sicherlich von einer ukrainischen Sonderidentität ausging, trotzdem jedoch für eine staatsrechtliche Verbindung mit Russland eintrat.

Alles in Allem verfolgt „Oil Empire“ einen zeitgemäßen Ansatz, da ökonomische und kulturwissenschaftliche Fragestellungen miteinander verbunden werden.

Kerstin S. Jobst, Potsdam/Salzburg

Zitierweise: Kerstin S. Jobst über: Alison Fleig Frank Oil Empire. Visions of Prosperity in Austrian Galicia. Harvard University Press Cambridge, MA, London 2005. XX. = Harvard Historical Studies, 149. ISBN: 978-0-674-01887-7, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 3, S. 445-446: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Jobst_Frank_Oil_Empire.html (Datum des Seitenbesuchs)