Heinz Duchhardt [u.a.] (Hrsg.) Option Europa. Deutsche, polnische und ungarische Europapläne des 19. und 20. Jahrhunderts. 3 Bde. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 2005. Band 1: 228 S.; Band 2: 556 S.; Band 3: 323 S.

Das dreibändige Werk „Option Europa“ ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts zum historischen Europa-Diskurs in Deutschland, Polen und Ungarn, welches das Institut für Europäische Geschichte in Mainz gemeinsam mit der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften konzipiert und in Zusammenarbeit mit deutschen, polnischen und ungarischen Historikern durchgeführt hat. Die Edition besteht aus drei Bänden, von denen der erste Aufsätze zu den jeweiligen nationalen Ausprägungen des Europa-Diskurses im 19. und frühen 20. Jahrhundert versammelt. Der zweite Band enthält umfangreiche Regesten mit detaillierten Verweisen auf die Entstehungsgeschichte und Autorschaft des jeweiligen Textes, während der dritte Band ausgewählte Europa-Schriften im Vollabdruck vorstellt.

Den ersten Band leitet Heinz Duchhardt, der Direktor des Instituts für europäische Geschichte, mit einem kundigen Überblick über den Europa-Diskurs in Deutschland vom frühen 19. Jahrhundert bis in die dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein. Die Wegmarken dieser Auseinandersetzung mit dem Modell Europa zeigen die Entwicklung von einem innenpolitisch motivierten Europa-Plädoyer, das auf der Vorstellung von Gleichgewicht basierte, hin zur machtpolitisch motivierten Sorge um den globalen Vorrang des europäischen Kontinents, der zunehmend auch gegenüber dem Fernen Osten gefordert wurde.

In einem umfangreichen Essay gehen W. Bo­rod­ziej, B. Brzostek und M. Gorny auf die pol­nischen Europa-Pläne im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein, die vor allem als Instrument zur Wiederherstellung einer polnischen Staatlichkeit dienten. Während auch im polnischen Fall zunächst gesamteuropäische Gleichgewichtsmodel­le vorherrschten, gewannen im Laufe des 19. Jahrhunderts slavische Allianzen den Vorrang, die je nach politischer Konstellation und Akteuren einmal an die ukrainische Frage gebunden waren, ein andermal wie 1863 in einer Erneuerung der polnisch-litauischen Union gesehen oder um die Jahrhundertwende an sozialistische Lo­yalitäten geknüpft wurden. In der Zwischenkriegszeit spielte schließlich die „jagiellonische Idee“ eine zunehmende Rolle, eine begriffliche Worthülse, welche sehr unterschiedliche Konzepte einer Erneuerung der Herrschaft der Jagiellonen über Polen, Litauen, Böhmen und Ungarn im 15. und 16. Jahrhundert umfasste. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ließ solch aus­greifenden Föderationspläne dann schnell auf eine „polnisch-tschechoslowakische Föderation“ zusammenschrumpfen, die noch einmal deutlich macht, wie sehr gerade im Fall Polen eu­ro­päische Föderationspläne immer auch eine Antwort auf die historischen Konstellationen des eigenen Landes waren.

Ignac Romsics stellt die wenigen ungarischen Europa-Pläne vor, die sich vor allem auf strukturelle Reformen der Habsburgermonarchie als Staatenbund konzentrierten. Ähnlich wie im polnischen Fall basierte das Gros der ungarischen Föderationspläne entweder auf regionalen Zu­sammenschlüssen wie beispielsweise einer ru­mänisch-ungarisch-polnischen Allianz, rekurrierten auf eine Wirtschaftsunion Mitteleuropas oder zielten auf eine Kooperation aller ostmitteleuropäischen Völker. Interessant ist hier die Figur des ungarischen Politikers und Historikers Os­kar Jaszis, der im Einklang mit dem Zeitgeist vor 1918 imperiale Pläne eines „Mitteleuropas un­ter deutscher Hegemonie und des Balkans unter ungarischer Führung“ proklamierte und nach den Erfahrungen zweier Weltkriege im amerikanischen Exil schließlich einen demokratisierten europäischen Staatenbund mit föderalem Cha­rakter, „The United States of Europe“, entwarf.

Der zweite Band der Edition, die Regesten, liefert eine Fülle von Texthinweisen und –zu­sam­menfassungen, begleitet von Biogrammen und Standorten der Schriften, die nicht nach Län­dern, sondern chronologisch geordnet sind. Vom kritischen Kommentar des Königsberger Philosophen Wilhelm Traugott Krug über die Hei­lige Allianz aus dem Jahr 1816 über eine „Proklamation über die ungarische und slawische Nationalität“ des magyarischen Oppositionsführer Miklos Wesseleny (1843) bis zu einer Stellungnahme zur Polenfrage im Ersten Weltkrieg durch den polnischen Nationalisten Wła­dys­ław Studnicki 1915 findet sich hier eine Viel­zahl aufschlussreicher Hinweise auf eine De­batte, deren Akteure damit auch ein persönliches Kommunikationsnetz über ganz Europa auf­spannten. Der dritte Band versammelt eher unbekannte Europa-Texte im Vollabdruck, welche von Stanislaw Staszics „Gedanke über das politische Gleichgewicht in Europa“ (1815) über „Das Programm der Polnischen Arbeiterpartei Proletariat“ (1906) bis zur Stefan Guzkowskis „Das jagiellonische Imperium“ (1931) reichen, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Insgesamt liegt mit den drei Bänden eine sehr fundierte Edition zur jüngeren Geschichte Europas als politisches Projekt vor, die das Verdienst hat, den bekannteren westlichen Europakonzepten die weniger geläufigen und schwerer zugänglichen ostmitteleuropäischen Entwürfe zur Seite zu stellen und diese in eine fruchtbare Beziehung zu den Föderationsplänen deutscher Provenienz zu setzen. Problematisch erscheint der auch von den Herausgebern selbst angesprochene Umstand, dass es sich vor allem im Fall Po­lens, abgeschwächt auch im ungarischen Fall, in den wenigsten Fällen um wirkliche Europa-Pläne handelt, sondern dass vielmehr regionale Allianzen dominieren, die zumal von den polnischen Nationalisten zum Zwecke der Wiederherstellung nationaler Staatlichkeit funktionalisiert wurden. Hier stoßen die „Europa-Pläne“ der Edition auf eine nationale Grenze, die in den ein­führenden Essays vielleicht ausführlicher hät­te problematisiert werden sollen. Ungeachtet dessen haben die Herausgeber und Autoren mit ih­rer Perspektive auf Europa von Ostmitteleuropa her, mit einer innovativen Textauswahl, einer gelungenen Einbandgestaltung und nicht zuletzt einem auch für Studierende attraktiven Preis ihr Ziel, einen grundlegenden Beitrag zur jüngeren Geschichte der europäischen Idee zu leisten, ein­drucksvoll eingelöst.

Ulrike von Hirschhausen, Hamburg

Zitierweise: Ulrike von Hirschhausen über: Heinz Duchhardt [u.a.] (Hrsg.) Option Europa. Deutsche, polnische und ungarische Europapläne des 19. und 20. Jahrhunderts. 3 Bde. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 2005. Band 1: 228 S.; Band 2: 556 S.; Band 3: 323 S. ISBN: 3-525-36287-0, in: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hirschhausen_Duchhardt_Option_Europa.html (Datum des Seitenbesuchs)