Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Ausgabe: 59 (2011) H. 2

Verfasst von: Peter Heumos

 

Die Tschechoslowakei 1945/48 bis 1989. Studien zu kommunistischer Herrschaft und Repression. Hrsg. von Pavel Žáček, Bernd Faulenbach und Ulrich Mählert. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2008. 239 S., Abb. ISBN: 978-3-86583-264-1.

Der vorliegende Sammelband ist als gemeinsames Projekt der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin, und des Instituts für das Studium der totalitären Regime, Prag, entstanden. Das Buch soll, so die Herausgeber im Vorwort, einen Beitrag zum Vergleich der Geschichte der SED-Diktatur mit den ostmitteleuropäischen Volksdemokratien leisten und zugleich in Deutschland den Blick der Öffentlichkeit auf die tschechoslowakische Nachkriegsgeschichte weiten, den bisher vor allem die Dramatik des Prager Frühlings verstelle.

Der Band ist in drei Abschnitte unterteilt. Auf den einleitenden Beitrag von Hora­lí­ková folgen im ersten Teil fünf Untersuchungen (Kalous/Kadlecová, Ro­ko­so­vá, Kalous, Cajthaml, Bárta), die sich mit der Deportation tschechoslowakischer Staatsbürger in die Sowjetunion nach 1945, mit der Kollektivierung der Landwirtschaft, der kommunistischen Kirchenpolitik, der Indienstnahme der Medien für Zwecke der Herrschaftsstabilisierung und der Zensur befassen. Der zweite Teil enthält drei Studien zur Entwicklung des tschechoslowakischen Staatssicherheitsdienstes (Kalous, Tomek, Povolný) und eine Studie zum Gefängniswesen zwischen 1948 und 1989 (Tomek). Den dritten Teil bilden fünf Abhandlungen (Pulec, Plachý, Baš­ta, Tomek, Horalíková) über die Abschottung der Tschechoslowakei nach außen (Grenzüberwachung nach Westen, Störsender, Auslandsspionage etc.).

Da sich im vorliegenden Fall das Sprachproblem nicht stellt, könnte der Sammelband die Rezeption von Forschungsergebnissen beschleunigen. Andererseits wiederholen viele Beiträge Altbekanntes und dies auch noch auf einer Argumentationsgrundlage, die schmaler ist als in bereits vorliegenden Arbeiten; dies gilt etwa für die Ausführungen zur Kollektivierung, zur Kirchenpolitik und zum Gefängniswesen – Komplexe, die Jech, Kaplan und Janák schon vor Jahren erschöpfend und wesentlich differenzierter dargestellt haben. Nun mögen durchaus auch weniger gehaltvolle Texte den Blick des interessierten Laien „ausweiten“, um die Intention der Herausgeber im Auge zu behalten. Es fragt sich allerdings, ob dieser Gewinn nicht durch eine stark restringierte Wahrnehmung erkauft wird, die der Sammelband insgesamt vermittelt.

Angesichts dessen, dass sich das Buch erklärtermaßen auf Organisation, Strategien und Entwicklung der Staatssicherheit konzentriert, ist es auffällig genug, dass nicht ein einziger Autor auch nur ein Wort über die quellenkritische Problematik der Akten des tschechoslowakischen Pendants zur Stasi verliert. Dass sich die realsozialistischen Geheimdienste ihre Widerstandsphantome in großem Stil selbst schufen, ist bekannt. Obwohl es also an Schimären in deren Akten nicht mangelt, setzen die meisten Beiträge voraus, diese seien ohne Umstände auch für eine wirklichkeitsnahe Sicht auf die gesellschaftliche Entwicklung ergiebig. Von dieser Zuversicht zehrt vor allem der Text über den tschechoslowakischen Sicherheitsapparat 1945–1948 (Kalous), der die kommunistische Machtübernahme im Februar 1948 kurzerhand auf geheimdienstliche Rankünen und die Gesellschaft auf deren Derivat reduziert.

Eine gewisse Akzeptanz können solche Interpretationsmuster gleichwohl finden, weil sie die ebenso holzschnittartigen wie publikumswirksamen Weltbilder der Literatur des Kalten Krieges perpetuieren. Zu diesen gehört die in dem Buch allgegenwärtige Umdeutung von Machtfragen in Fragen der Machttechnik, die mit der Vorstellung eines der Gesellschaft fremd und bedrohlich gegenüberstehenden Herrschaftsapparats einhergeht und folglich als Wirkungsfaktoren gesellschaftlicher Integration nur Terror hie und Angst da in den Blick kommen lässt. Dass gesellschaftliche Integration in der kommunistischen Tschechoslowakei – wie in der DDR – u.a. über soziale Mobilität in Form massenhafter Aufstiegserfahrungen geleistet wurde, die offenbar einen Schlüssel zum Verständnis der politischen Integration bilden, hat die tschechische Forschung bisher nicht untersucht. Doch gibt es seit langem scharfe und grundsätzliche Kritik tschechischer Forscher (Pullmann) am Konzept der Dichotomie von Gesellschaft und Apparat als einer Fiktion, die den tschechoslowakischen Kommunismus exotisiert und seine umfassende Aufarbeitung hemmt. Die Autoren des Bandes sind sehr weit davon entfernt, von solchen Bedenken umgetrieben zu werden. In der Tradition der Literatur des Kalten Krieges halten sie sich lieber an ‚Altbewährtes‘. Demgegenüber nähren die Herausgeber offenbar doch die Hoffnung auf eine neue und vor allem komplexere Sicht des Themas: Die Öffnung der Archive nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus, lassen sie den Leser wissen, werde zur „Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in allen ihren Facetten“ (Vorwort) führen.

Peter Heumos, Moosburg

Zitierweise: Peter Heumos über: Die Tschechoslowakei 1945/48 bis 1989. Studien zu kommunistischer Herrschaft und Repression. Hrsg. von Pavel Žáček, Bernd Faulenbach und Ulrich Mählert. Leipziger Universitätsverlag Leipzig 2008. ISBN: 978-3-86583-264-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Heumos_Tschechoslowakei_1945_48_bis_1989.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2011 by Osteuropa-Institut Regensburg and Peter Heumos. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact redaktion@osteuropa-institut.de