Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 4, S.  624–625

Il’ja Al’tmann Opfer des Hasses. Der Holocaust in der UdSSR 1941–1945. Mit einem Vorwort von Hans-Heinrich Nolte. Aus dem Russischen von Ellen Greifer. Muster-Schmidt Verlag Gleichen, Zürich 2008. 588 S. = Zur Kritik der Geschichtsschreibung, 11. ISBN: 978-3-7881-2032-0.

Mit der Übersetzung von Il’ja Al’tmans im Jahr 2002 in Moskau erschienener Monographie „Žert­vy nenavisti. Cholokost v SSSR 1941–1945“ liegt nun das Standardwerk des Moskauer Historikers zur Geschichte der Verfolgung und Vernichtung der sowjetischen Juden in den Jahren von 1941 bis 1945 auch in deutscher Spra­che vor.

In fünf Kapiteln behandelt Al’tman dabei alle zentralen Aspekte der Thematik von den Grundlagen des nationalsozialistischen Besatzungsregimes in der Sowjetunion und der Lage der sowjetischen Juden (Kap. 1) über die Ghettos auf dem Gebiet der UdSSR (Kap. 2) sowie den Holocaust an den sowjetischen Juden (Kap. 3) bis hin zum Widerstand (Kap. 4) und schließlich zum Umgang mit dem Holocaust in der Sowjetgesellschaft (Kap. 5). Allein schon die beeindruckende Dichte an Quellen, unveröffentlichten wie publizierten, macht das Buch zu einer wahren Fundgrube.

Al’tman leistet einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über die Opferzahlen des Holocaust. In seiner Studie liefert er, regional bzw. lokal differenziert, detaillierte Angaben über die Zahl der jüdischen Opfer. Nach seinen Berechnungen sind insgesamt ca. 2.825.000 Juden auf dem Territorium der Sowjetunion in den Grenzen vom 22. Juni 1941 durch den Holocaust ums Leben gekommen (S. 366).

Al’tmans Schilderungen der Judenverfolgung- und vernichtung sind nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Fallbeispiele und Zitate aus Zeitzeugenberichten und anderen Dokumenten sehr eindrucksvoll.

Analytisch ist Al’tman am überzeugendsten, wenn er die „Zwiespältigkeit der sowjetischen Führung in Bezug auf die ‚Judenfrage‘“ (S. 546) sowie den Umgang der Sowjetgesellschaft mit dem Holocaust herausarbeitet (Kap. 5). So lässt sich Al’tmans Urteil zustimmen, die Sowjetführung habe „bei weitem nicht alles Mögliche zur Rettung der Opfer des Holocaust unternommen“ (S. 493).

Anders als dem russischen Leser, der infolge der Jahrzehnte währenden Tabuisierung der Holocaust-Thematik unter dem Sowjetregime mit der Thematik nur wenig vertraut ist, werden dem deutschsprachigen Leser nicht alle Kapitel im selben Maß neue Einsichten vermitteln. Über den Massenmord an den sowjetischen Juden, den Widerstand der jüdischen Bevölkerung und besonders den Umgang von stalinistischem Regime und Sowjetgesellschaft mit dem Holocaust erfährt er durchaus Neues; die Diskussion um die „Endlösung“ der „Judenfrage“ oder die Rolle von Judenräten und Hilfspolizei in den Ghettos dürfte dem Fachpublikum durch die einschlägige Literatur bekannt sein.

Dieser Umstand schmälert das Verdienst des Buches indes nicht: Als eine fakten- und kenntnisreiche Gesamtdarstellung, die zudem auf For­schungsdefizite aufmerksam macht (etwa mit Blick auf die Rolle der Okkupationspresse), leistet Al’tmans „Opfer des Hasses“ sowohl einem russischsprachigen als auch einem westlichen Leserpublikum wertvolle Dienste.

Frank Grüner, Heidelberg

Zitierweise: Frank Grüner über: Il’ja Al’tmann Opfer des Hasses. Der Holocaust in der UdSSR 1941–1945. Mit einem Vorwort von Hans-Heinrich Nolte. Aus dem Russischen von Ellen Greifer. Muster-Schmidt Verlag Gleichen, Zürich 2008. = Zur Kritik der Geschichtsschreibung, 11. ISBN: 978-3-7881-2032-0, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 4, S. 624–625: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Gruener_Altmann_Opfer_des_Hasses.html (Datum des Seitenbesuchs)