Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848–1867. II. Abteilung: Das Ministerium Schwarzenberg. Band 2: 8. Jänner 1850 – 30. April 1850. öbv & hpt Wien 2005. LIV, 396 S.

Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848–1867. II. Abteilung: Das Ministerium Schwarzenberg. Band 3: 1. Mai 1850 – 30. September 1850. öbv & hpt Wien 2005. XLII, 361 S.

Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848–1867. IV. Abteilung: Das Ministerium Rechberg. Band 2: 6. März 1860 – 16. Oktober 1860. öbv & hpt Wien 2007. LXIX, 525 S.

Die enorme Materialfülle und Komplexität der Sitzungsthemen des österreichischen Ministerrates, des maßgebenden Organs für Politik und Verwaltung unter dem Ministerpräsidenten Fürst Felix Schwarzenberg, der seinerseits einer der tatkräftigsten konservativen Vertreter der ös­terreichischen Reichsidee war, ist zweifellos beeindruckend. Dies gilt nicht minder für die souverän gestaltete, sorgfältig kommentierte Edition der Protokolle, die dem gesamten Redaktionsteam formal und inhaltlich überzeugend gelungen ist.

Sehr viele Verhandlungsgegenstände muten aus der heutigen Sicht des „vereinten Europa“ gar nicht ‚altmodisch‛ an. Gewandelt hat sich z. T. nur die sprachliche Ausdrucksweise. Die zentralen Fragen im Jahr 1850 sind in den beiden Bänden zur nachrevolutionären Periode Einsparungsvorschläge zur Sanierung der Staats­finanzen, speziell durch Reduktion von Militärausgaben, Steuerreformen, deren Vereinheitlichung im Gesamtstaat und hartnäckige Versuche zur Währungsstabilisierung.  Aufgrund von Interessenkonflikten blieb dies meist gescheitertes Stückwerk. Das heikle Problem des Verhältnisses der Kirchen und Religionsgemeinschaften zum Staat (bei Katholiken, evangelischen Konfessionen, Griechisch-Orthodoxen sowie insbesondere die politisch-rechtlichen Regelungen der jüdischen Untertanen mosaischen Glaubens) wurde – mit wenigen Ausnahmen (Prag 1850) – mangels konkreter Schritte der Regierung „mittelfristig“ aufgeschoben bzw. vorerst gegenstandslos. Nahezu täglich debattierten die hochrangigen Mitglieder über Lösungen, wie in den Ländern der Stephanskrone (Ungarn, Kroatien, Slawonien, Siebenbürgen, Woiwodschaft Serbien, Temescher Banat) eine „moderne“, einheitliche Verwaltung zu etablieren sei, bei Aufhebung der jeweiligen Sonderrechte und trotz der Entlassung des widerspenstigen Freiherrn v. Haynau im Juli 1850. Hinzu kamen diplomatische Verhandlungen in Sachen der ungarischen Flüchtlinge in der Türkei, die auch das Schicksal der Kinder von Lajos Kossuth, dem Revolutionsführer von 1848/49 betrafen.

Österreichs Schwächen, Potenzen und Grenzen rund um den Themenkomplex „Deutscher Bund kontra Deutsche Union“ werden in den Einleitungen (von Thomas Kletečka, Anatol Schmied-Kowarzik, And­reas Gottsmann), auch im Rückgriff auf Ver­gangenes, kenntnisreich und konzis analysiert.

Zehn Jahre später, 1860, im Neoabsolutismus als Periode der „Modernisierungsbestrebungen zur Sicherung des Rechtsstaates für alle Staatsbürger“ (Helmut Rumpler) wurde die „Reform‟-Tätigkeit Was ist „Reform“?! zur politischen Neuordnung fortgesetzt. Es ging um die Option zwischen einer bürgerlich-liberalen und einer feudal-konservativen Orientierung der Innenpolitik angesichts des Vorwurfs, der zentralistische Staat habe die Bürger auf Kosten des Adels bevorzugt. Durch den Machtwechsel von Innenminister Alexander Bach zu Graf Age­nor Gołuchowski schlug „die Stunde der Län­derautonomie“. Überdies wurde endlich auch die Öffentlichkeit informiert. Ein bedeutsames Ereignis des Jahres 1860 war die Einsetzung des „verstärkten Reichsrates“, eines dem Kaiser zugeordneten Beratungsgremiums ohne Vorschlags- und Interpretationsrecht. Dieses bestand aus zehn vom Monarchen ernannten Honoratioren und – neu! – aus 38 Ländervertretern (März bis Ende September). Hier wurden Grundfragen des „österreichischen Staats- und Reichsproblems“ erörtert, wobei die Meinungsverschiedenheiten und Spielarten zwischen den Akteuren des Konservativismus und Liberalismus nebst Varianten ebenso viel Aufmerksamkeit verdienen wie die lange ersehnten Schritte zur Einbindung der erwartungsvollen Öffentlichkeit.

Im Rahmen von Stefan Malfèrs konzisen Akzentsetzungen in der Einleitung sind vor allem seine Hinweise auf „irreführende Legenden“ der Historiker hervorzuheben sowie die De­siderata zu biographischen (Detail-)Studien (z. B. zu Nicolaus Graf Szécsen, zum Grafen und Ministerpräsidenten Johann Bernhard Rech­berg und Rothenlöwen). Vorausblickend auf das „Oktoberdiplom“ vom 20.10.1860 – im Folgeband – ist Malfèrs These anregend, dass gerade im Kompromisscharakter dieses „unwiderruflichen Staatsgrundgesetzes“ die Ursache seines Scheiterns lag. Die ehemals kriegerischen Ziele der Außenpolitik (mit Konsequenzen für die Einigung Italiens 1860) wichen dem Primat der Innenpolitik: politische Mitbestimmung in den Gemeinden, Bezirken, Kreisen, Landtagen und im Zentralstaat.

Last but not least enthalten die Protokolle aller drei Bände Informationen zum Aufbau der In­frastruktur (Eisenbahnen, Telegraphen), zur dif­fizilen Sprachenfrage (in Rechtspflege, Schulen, Universitäten) nebst vermeintlich besonders innovativen Vorschlägen: z. B. zu einem „öffentlichen Preisausschreiben“ für „das gelungen­ste Operat einer Zivilprozessordnung“, für die „Festsetzung einer romanischen Terminologie‟ als Ergänzung zum zehnsprachigen Reichsgesetzblatt oder für eine Genehmigung von Fenstern für die Eisenbahnwaggons III. Klasse im Winter 1850. Kaum bekannt ist wohl eine Aus­wertung der zahlreichen Todesurteile.

Kurzum: In altbewährter Kompetenz sind Bibliographien, Abkürzungen, Listen veralteter Ausdrücke, Teilnehmerverzeichnisse, Regesten und Register sowie die österreichisch-ungarische Kooperation der Spezialisten eines (virtuellen?) Verdienstordens würdig. Die Forschung wartet weiter auf eine Krönung des Gesamtwerkes.

Monika Glettler, Freiburg/München

Zitierweise: Monika Glettler über: Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848–1867. II. Abteilung: Das Ministerium Schwarzenberg. Band 2: 8. Jänner 1850 – 30. April 1850. öbv & hpt Wien 2005. ISBN: 3-209-04697-2 / Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848–1867. II. Abteilung: Das Ministerium Schwarzenberg. Band 3: 1. Mai 1850 – 30. September 1850. öbv & hpt Wien 2005. ISBN: 3-209-05464-9 / Die Protokolle des österreichischen Ministerrates 1848–1867. IV. Abteilung: Das Ministerium Rechberg. Band 2: 6. März 1860 – 16. Oktober 1860. öbv & hpt Wien 2007. ISBN: 978-3-209-05956-7, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 3, S. 440-441: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Glettler_Protokolle.html (Datum des Seitenbesuchs)