Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Christiane Brenner

 

Helena Srubar Ambivalenzen des Populären. Pan Tau und Co. zwischen Ost und West. UVK Konstanz 2008. 399 S., Abb. = Erfahrung Wis­sen Imagination. Schriften zur Wissenssozio­logie, 16. ISBN: 978-3-86764-047-3.

Kinderfilme aus der Tschechoslowakei gehörten zu den wenigen Exportgütern, die sich auch in den Jahren der „Normalisierung“ nach der Nie­derschlagung des „Prager Frühlings“ in der Bundesrepublik großer Beliebtheit erfreuten. Diese Produktionen galten nicht nur als besonders phantasievoll und lustig, sondern auch als Qua­litätsfernsehen und zudem als völlig unpolitisch. Helena Srubar zeigt in ihrer Kon­stanzer Dissertation, dass hinter Serien wie „Pan Tau“, „Die Besucher“ und „Die Märchenbraut“, die zwischen 1969 und 1984 in einer Zusammenarbeit des tschechischen Fernsehens mit dem Westdeutschen Rundfunk entstanden, mehr steckt. Sie argumentiert, dass diese Filme, bei deren Gestaltung der tschechische Partner federführend war, tiefen Einblick in die tschechische Selbstwahrnehmung und -deutung, die damaligen Gesellschaftsvorstellungen sowie die Bewältigungsstrategien für die großen und kleinen Probleme jener Jahre geben. Wie der Titel des Buches ankündigt, geht es Srubar vor allem darum, Vieldeutigkeit herauszuarbeiten. Auf breiter Quellengrundlage, die neben der tschechischen und deutschen Fassung der Filme auch Gespräche mit Regisseuren und Produzenten sowie die zeitgenössische Rezeption der Sendungen umfasst, rekonstruiert sie eingangs die unterschiedlichen Erwartungen, die die tsche­chische und die deutsche Seite an ihre Kooperation richteten, um dann im Hauptteil der Arbeit das Spektrum tschechischer Seh- und Interpretationsweisen von „Pan Tau und Co.“ zu entfalten. Dabei legt sie drei Diskursstränge offen: einen sozialistischen, einen nationalen und einen oppositionellen, wobei sie darauf hinweist, dass die widerständigen Botschaften von den Machern der Filme zum Teil keineswegs bewusst angelegt, sondern vielmehr von den an das Lesen zwischen den Zeilen gewöhnten tschechischen Zuschauern selbst entdeckt wurden. Als das stärkste Erzählmuster erscheint das nationale Narrativ, eine Sicht der Welt aus der Perspektive des „kleinen tschechischen Menschen“, der eine sympathisch-kleinbürgerliche, mitunter etwas schlitzohrige, allein auf die Arbeit und das Private konzentrierte Existenz führt. Die Wirkungsmächtigkeit dieses geradezu biedermeierlichen Lebensentwurfs, der in allen analysierten Filmen über die Verlockungen der weiten Welt einerseits, individueller Selbstverwirklichung andererseits siegt, begründet Srubar mit dessen tiefer Verwurzelung in der tschechischen Geschichte. Das Werte und Normensystem, das mit diesem urtschechischen Selbstbild – gesellschaftlichem Egalitarismus, Zusammenhalt, Fleiß und Bescheidenheit – verbunden sei, habe sich als anschlussfähig an den sozialistischen Kanon erwiesen. Dieser wird als über weite Strecken verinnerlicht identifiziert – d. h. nicht als etwas Aufgesetztes oder als „Zugeständnis“ an die Zensurbehörden. Die marxistische Gesellschaftsutopie habe aber im Zusammenspiel mit dem nationalen Erzählstrang eine „Vermenschlichung“ erfahren; sie habe durch die Übertragung auf den tschechischen Kontext ein vielleicht etwas provinzielles, aber sehr liebenswertes Gesicht erhalten; dies könne man auch als Rückbezug auf den Reformsozialismus der 1960er Jahre lesen.

Helena Srubar kann überzeugend nachweisen, dass die Helden aus dem tschechischen Kinderfernsehen der 1970er und 1980er Jahre mitnichten unpolitisch waren – man konnte ihre Welt sowohl als Rückzugsgebiet aus einer unerfreulichen Realität als auch als weich gezeichnetes Bild des realen Sozialismus bzw. dessen humaner tschechischer Variante und damit als Gegenentwurf zum kalten, hektischen, westlichen Konsumkapitalismus verstehen. Gerade vor dem Hintergrund der aufgezeigten wechselseitigen Durchdringung der Diskurse irritiert aber Srubars Deutung des politisch-gesellschaftlichen als „totalitär“. Die Behauptung, es habe in der „normalisierten“ Tschechoslowakei zwei einander diametral entgegengesetzte Normensysteme (z.B. S. 39) – ein offizielles und ein privates – gegeben, widerlegt Srubar durch die Ergebnisse ihrer Analyse selbst, so wie sie mit der spannenden Rekonstruktion der tschechi­sch-westdeutschen Zusammenarbeit und der Pro­duktionsgeschichte der Serien das Bild des „to­talitären Entstehungskontextes“ konterkariert.

Einer der besonders eindrücklichen Befunde des Buches bezieht sich auf die Rezeption in der Bundesrepublik: Die Filme wurden als Gegengewicht sowohl zum unterhaltungsfeindlichen deutschen als auch zum kommerziellen amerikanischen Kinderfernsehen verstanden und geradezu euphorisch begrüßt. Der Zauber dieser Filme wirkt bis heute: Im Sommer 2009 hat die Süddeutsche Zeitung eine DVD-Box mit „7 tschechischen Kultklassikern“ auf den Markt gebracht. Gemeint sind natürlich Kinderserien, die eine mit „Pan Tau“, der „Märchenbraut“ und „Luzie, dem Schrecken der Straße“ aufgewachsenen Elterngeneration nun den eigenen Kindern vorführen kann.

Christiane Brenner, München

Zitierweise: Christiane Brenner über: Helena Srubar Ambivalenzen des Populären. Pan Tau und Co. zwischen Ost und West. UVK Konstanz 2008, Abb. = Erfahrung – Wissen – Imagination. Schriften zur Wissenssoziologie, 16. ISBN: 978-3-86764-047-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Brenner_Srubar_Ambivalenzen_des_Populaeren.html (Datum des Seitenbesuchs)

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